Diese Geschichte ist für Angela, Kuschel, Skeptiker Wellington und alle anderen, denen „Das Penthouse gegenüber“ gefallen hat und die gerne wissen möchten, wie es weiter ging mit der schönen Lady und ihrem Verehrer. Die Story ist „non-zoo“ (Sex mit Tieren spielte ja schon im ersten Teil kaum eine Rolle), aber ich hoffe, Ihr mögt sie trotzdem.
Viel Vergnügen beim Lesen, DarkFantasy
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Mein Name ist John, und vor drei Jahren ist etwas geschehen, das mein Leben grundlegend verändert hat. Oder besser gesagt: völlig auf den Kopf gestellt!
Drei Jahre, doch mir kommt es noch immer vor, als sei es gestern gewesen, dass ich mit eigenen Augen gesehen habe, wie die Frau aus dem Penthouse gegenüber — die Frau, in die ich mich aus der Ferne verliebt hatte, obwohl ich nicht mal ihren Namen kannte — ein magisches Ritual vollzog und von einer unbeschreiblichen Monstrosität in eine andere Dimension entführt oder vielleicht sogar getötet wurde.
Seither habe ich versucht, das Geschehene zu vergessen, jedoch ohne Erfolg. Wie könnte man so etwas Ungeheuerliches auch aus seiner Erinnerung löschen? Aber das Leben geht weiter, nicht wahr? Was blieb mir also anderes übrig, als zu akzeptieren, dass die schöne Lady fort war und ich sie wahrscheinlich nie wieder sehen würde. Ich würde nie ihre Stimme hören, sie in die Arme nehmen und ihre warme, weiche Haut auf meiner spüren, ihren süßen Mund schmecken und ihren herrlichen Körper mit meinen gierigen Küssen erforschen… An dieser Stelle musste ich mich jedes Mal zwingen, nicht weiter in meinen Fantasien zu schwelgen, sondern mich mit der Realität abfinden. Das Problem dabei war nur: Ich konnte und wollte mich nicht damit abfinden.
‘Eines Tages komme ich zurück, und wenn Sie mich dann noch immer wollen, gehöre ich Ihnen. Das verspreche ich.’ Das waren ihre letzten Worte an mich gewesen. Sie standen in dem Brief, worin sie mich gebeten hatte, als Beobachter bei ihrer ‘Abreise’ oder wie immer man es nennen mochte, dabei zu sein. Ich hatte damals keinen blassen Schimmer, was sie vorhatte, sonst hätte ich wahrscheinlich versucht, sie daran zu hindern. Aber war ihr denn selbst wirklich klar gewesen, worauf sie sich bei ihrer Suche nach neuen lustvollen Erfahrungen einließ? Hatte sie geahnt, was mit ihr passieren würde? Und wenn sie noch am Leben war — gab es überhaupt die Chance auf eine Rückkehr?
Fragen über Fragen, auf die ich keine Antworten fand und über die ich mit niemandem sprechen konnte, ohne befürchten zu müssen, für einen Lügner oder Spinner oder beides gehalten zu werden (was ich keinem hätte verübeln können – hätte mir jemand vor drei Jahren eine solche Story aufgetischt, wäre mir sicher auch der Gedanke gekommen, die Männer in den weißen Anzügen zu rufen).
Ich war also auf mich allein gestellt. Natürlich hatte ich zahllose Tage und Nächte damit verbracht, das Internet nach Hinweisen auf ähnliche Begebenheiten zu durchpflügen, jedoch ohne Erfolg. Ich war in sämtlichen einschlägigen Buchhandlungen gewesen, die sich mit Magie und Hexerei beschäftigen (und von denen es in dieser Stadt mehr gibt, als ich dachte). Schließlich habe ich sogar damit begonnen, alle möglichen Horror-Romane zu lesen in der Hoffnung, darin irgendwas zu finden, das mir weiterhelfen könnte. Verrückt, nicht wahr? Als wären Poe, Lovecraft oder King nicht nur brillante Schriftsteller mit einer überbordenden Vorstellungskraft, sondern echte Experten auf dem Gebiet des Übernatürlichen. Aber ich griff wie ein Ertrinkender nach jedem Strohhalm, und wenn er noch so dünn war. Dabei hatte ich ehrlich gesagt keine Ahnung, wohin das Ganze führen sollte und warum ich so verzweifelt nach einer Erklärung suchte für etwas, das sich nicht erklären ließ.
Vielleicht ging es mir darum, überhaupt etwas zu unternehmen. Ich konnte es noch nie ertragen, untätig zu sein. Und selbst wenn sich meine Bemühungen als vollkommen sinnlos erweisen würden, war das immer noch besser, als gar nichts zu tun und nicht wenigstens zu versuchen, meiner geliebten Lady irgendwie beizustehen oder herauszufinden, was mit ihr geschehen war.
Doch es gab noch einen anderen Grund, weshalb ich die Dinge nicht auf sich beruhen lassen konnte, und das waren diese verdammten Träume. Sie suchten mich zwar nicht jede Nacht heim, doch wenn sie kamen, waren sie so intensiv, dass ich nach dem Aufwachen Stunden brauchte, um mich davon zu erholen.
In diesen Träumen tauchte ich ein in ein bizarres und angsteinflößendes Universum, das sich kaum mit Worten beschreiben lässt. Okay, jeder weiß, wie unheimlich es in Träumen zugehen kann, aber das hier war trotzdem etwas anderes. Ich fand mich stets wieder an einem düsteren, wüstenartigen Ort, der sich unwirklich und echt zugleich anfühlte. Eine riesige schwarze Felsformation ragte vor mir in den Himmel, der bedeckt war mit unheilvoll brodelnden violetten und blutroten Wolken. Unablässig zuckten gewaltige Blitze zischend aus dem Boden nach oben in die Wolkenmassen und brachten sie für Sekundenbruchteile zum Glühen. Der heiße Wind roch und schmeckte nach den Ausdünstungen lebendiger Wesen und trug Schreie der Lust und der Pein an meine Ohren. Zögernd folgte ich den Geräuschen, wobei ich auf dem heißen, sandigen Boden bis zu den Knöcheln einsank und daher mehr taumelte als ging. Je näher ich den dunklen Felsen kam, desto größer wurde ihre Ähnlichkeit mit einer überdimensionalen gotischen Kathedrale, deren Baumeister sie in einem Zustand völligen Wahnsinns erschaffen haben mussten. Nie zuvor hatte ich etwas erblickt, das so krank und abartig aussah und dennoch eine solche Anziehungskraft besaß, dass ich wie in Trance weiter darauf zulief.
Bis hierher waren meine Träume immer gleich, doch was dann folgte, traf mich jedes Mal völlig unvorbereitet. Sobald ich durch die gigantische Pforte trat, sah ich eine Halle, die sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien, und darin unzählige Körper, die sich in Ekstase wanden, während sie auf entsetzlichste Weise von Wesen, die nichts Menschliches an sich hatten, grausam gequält und missbraucht wurden. Die Luft war erfüllt von Blutdunst, dem Gestank von Fäkalien und Verwesung, einer infernalischen Mischung aus Stöhnen, Brüllen und irrem Gelächter und den furchtbaren Geräuschen, wenn Leiber mit brutaler Gewalt zerstückelt und zerfetzt wurden. Das Innere des kathedralenartig geformten Felsens bestand nicht aus hartem Gestein, sondern hatte eine fleischige, aus sich selbst leuchtende Struktur, die sich ständig verformte, als wäre sie lebendig. Der Boden war überschwemmt mit Blut, Schleim und anderen Flüssigkeiten, die von meterlangen, ekelhaften Zungen, die wie Schlangen darin auftauchten, gierig aufgeleckt wurden. Überall sah ich fette rattenähnliche Kreaturen, die vom Fleisch der Gequälten fraßen oder von anderen, noch groteskeren Wesen selbst gefressen wurden.
Wenn die — im wahrsten Sinne des Wortes — unmenschlichen Folterknechte mit einem ihrer Opfer fertig waren, stopften sie dessen Überreste in einen von wulstigen Lippen umrahmten Schlund, der sich wie eine obszöne Geschlechtsöffnung zu ihren Füßen auftat. Nur wenige Augenblicke später stülpte sich etwas aus der Wand, das einem riesigen Anus glich, und presste den Menschen, der zuvor nur noch eine formlose Masse aus Fleisch, Haut, Knochen und Eingeweiden gewesen war, in seiner ursprünglichen Gestalt wieder heraus. Sofort wurde er von seinen Peinigern gepackt, und die Tortur begann erneut, ebenso wie das Stöhnen und die Schreie.
Auch ich musste schreien bei all dem Grauen, das sich vor mir abspielte, doch niemand schien mich zu bemerken. Nur eine Gestalt in diesem Tumult aus zuckenden Gliedern und grenzenlosem Irrsinn blickte zu mir auf, und ich erkannte sie sofort: Es war die schöne Lady aus dem Penthouse. Und stets musste ich mit ansehen, wie sie auf jede nur denkbare Art malträtiert wurde und es sogar zu genießen schien, von den Monstern bei lebendigem Leib gehäutet und ausgeweidet zu werden.
Das war meistens der Moment, in dem ich aufwachte. Dann hämmerte mir das Herz in der Brust, als wollte es den Käfig meine Rippen sprengen, und ich war von oben bis unten klatschnass geschwitzt. Und so wund, wie sich meine Kehle anfühlte, hatte ich wohl wirklich geschrien.
In solchen Nächten war an Schlaf nicht mehr zu denken, daher setzte ich mich in den Sessel, von dem aus ich das dunkle Penthouse gegenüber beobachten konnte, und versuchte mich zu beruhigen. Das gelang mit meistens erst, wenn am Horizont die ersten Sonnenstrahlen den neuen Tag ankündigten.
Immer wieder stellte ich mir die Frage, warum ich diese Träume hatte… ob es tatsächlich nur Träume waren… oder Botschaften… oder ob ich den Verstand verlor.
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Trotz allem wollte ich mein Leben nach meinen Vorstellungen führen und mich nicht von den irrwitzigen Bildern meines Unterbewusstseins kontrollieren lassen. Ich hatte eine neue Firma gegründet, die nun langsam, aber sicher, in die Gewinnzone kam. Und obwohl ich an keiner festen Beziehung interessiert war, traf ich mich wieder regelmäßig mit einer Frau. Ihr Name war Gabriella, doch ich durfte sie Gabby nennen. Sie arbeitete als Call-Girl für eine angesehene Agentur und war seit einigen Monaten mein ‚Freitagsmädchen’.
Daher war es auch ein Freitag, als es pünktlich um sieben Uhr an der Tür zu meinem Penthouse läutete. Es war ein wunderbarer spätherbstlicher Tag gewesen, und der wolkenlose, strahlend blaue Himmel hatte perfekt mit den in Gold und Rot leuchtenden Bäumen im Park harmoniert. Ich hatte die Firma früher als sonst verlassen, war mit dem Rad nach Hause gefahren und hatte die kühle, belebende Luft in Vorfreude auf den Abend in vollen Zügen genossen. In solchen Augenblicken vergaß ich sogar meine morbiden Träume.
Zuhause hatte ich mich ausgiebig geduscht und das gemeinsame Abendessen vorbereitet. Ich war gerade mit allem fertig, als Gabby vor der Tür stand.
„Hi, Süßer“, sagte sie lächelnd, schlang mir die Arme um den Hals und küsste mich.
„Hi, Süße“, antwortete ich und ließ meine Hände über ihren Körper gleiten. „Wie war Dein Tag?“
„Ach, wie immer“, sagte sie ausweichend und löste sich von mir, so dass ich ihr aus dem Mantel helfen konnte. „Und bei Dir?“
„Hab’s kaum erwarten können, dass Du endlich da bist.“
Gabby trug ein kurzes, schwarzes Kleid, das ihre schlanke Figur und ihre langen Beine betonte, und auch ihr modischer Kurzhaarschnitt gefiel mir ausgezeichnet. Sie war eine sehr attraktive junge Frau und wusste das auch.
Ich führte sie ins Wohnzimmer. „Möchtest Du einen Aperitif?“
„Oh ja, ein Martini wäre wundervoll.“ Gabby ging zu einem der Panoramafenster. „Die Aussicht von hier oben ist jedes Mal der Hammer.“
„Die Aussicht hier drinnen aber auch“, sagte ich und reichte ihr den Drink. „Du siehst heute Abend wieder bezaubernd aus.“
„Vielen Dank.“ Sie nahm den Drink und nippte genießerisch daran. „Hmmm… köstlich.“
„Freut mich.“ Ich hatte mir einen Scotch genehmigt. „Ich hoffe, Du hast Hunger mitgebracht.“ Und so ging es weiter. Jeden Freitag vollführten wir dieses Ritual und unterhielten uns, als wären wir ein echtes Liebespaar. Wir plauderten über dies und das, ohne dass es jemals zu persönlich wurde. Ich erzählte von meiner Firma, und Gabby tat so, als würde es sie wirklich interessieren. Meine Fragen nach ihren anderen Kunden ignorierte sie geschickt. Aber das war okay. Ich wusste ja, dass ich nicht der einzige Mann in ihrem Leben war, doch das störte mich nicht. Denn von Freitag Abend bis zum nächsten Morgen gehörte Gabby mir.
Ich bereitete das Abendessen zu, während sie letzte Hand an die Tischdekoration legte. Es machte mir große Freude, für uns beide zu kochen, denn Gabby hatte einen gesunden Appetit und mochte ihr Steak blutig, genau wie ich. Dazu gab es Salat und Beilagen, und die Flasche Wein, die ich Stunden vorher geöffnet hatte, damit der edle Tropfen atmen und sich entfalten konnte, würde am Ende beinahe leer sein.
Wir aßen mit viel Genuss und redeten ganz entspannt und ungezwungen miteinander. Gabby konnte herrliche Geschichten erzählen, ob sie nun wahr oder erfunden waren. Später saßen wir eng umschlungen vor dem prasselnden Kaminfeuer oder gingen Hand in Hand von einem Fenster zum anderen, um die leuchtende Großstadt unter uns zu bewundern. Gabby war von dem Anblick genauso fasziniert wie ich.
Irgendwann verschwand Gabby im Bad. Als ich wenig später das Schlafzimmer betrat, wartete sie bereits auf mich. Da sie wusste, wie gerne ich sie auszog und dabei überall küsste und zärtlich liebkoste, überließ sie es mir, den Reißverschluss ihres Kleides nach unten zu ziehen, ihr aus den Schuhen zu helfen, die Strümpfe von ihren wohlgeformten Beinen zu rollen und den Verschluss ihres BHs zu öffnen. Ich ließ mir viel Zeit und genoss jeden Moment. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Gabby nur noch ihr winziges Höschen trug. Ich trug sie zum Bett und legte sie sanft auf das Laken. Dann wanderte ich küssend von ihrem Hals über ihre Brüste weiter nach unten, erreichte ihren entzückenden kleinen Nabel und schließlich den Saum ihres Slips. Ich hakte beiden Daumen darin ein und zog ihn über ihre Beine. Dort angekommen, küsste ich mich wieder zurück, bis ich die Hitze ihres Unterleibs spürte und den betörenden Duft ihrer Vagina einsog. Ich leckte Gabby ausgiebig und drang mit meiner Zunge tief in sie ein, was sie mit einem wohligen Seufzen quittierte. Als ich ihre geschwollene Klitoris umkreiste, zuckte Gabby und stieß kurze, leise Schreie aus. (Wenn sie mir den Orgasmus nur vorspielte, dann überaus glaubwürdig.)
Danach robbte ich zwischen ihren gespreizten Schenkeln weiter nach oben und drang erneut in sie ein, doch diesmal nicht mit meiner Zunge. Gabby hatte mir versichert, dass wir auf Kondome verzichten konnten, und ich vertraute ihr.
Wir trieben es mehrmals miteinander, bis wir angenehm ermattet waren und unter die Laken schlüpften, um aneinander gekuschelt einzuschlafen. „Das war schön…“, murmelte ich ihr noch ins Ohr, dann driftete ich weg.
Ich hatte gehofft, dass der Sex und der Alkohol mich müde genug machen würden, um traumlos bis zum nächsten Morgen durchschlafen zu können. Meistens funktionierte es, aber nicht in dieser Nacht.
„John! Um Himmels willen, wach auf!“ Gabby rüttelte mich, bis ich die Augen aufschlug. Im ersten Augenblick hatte ich keine Ahnung, wo ich mich befand. Beinahe hätte ich um mich geschlagen, so verwirrt war ich. Gabby hielt mich fest in den Armen und streichelte mir sanft das schweißnasse Haar aus der Stirn.
„Was ist passiert?“, fragte ich mit heiserer Stimme.
„Du hast geschrien, mein armer Liebling“, sagte Gabby. „Aber es war nur ein schlimmer Traum. Ich bin bei Dir. Jetzt ist alles wieder gut.“
‚Alles wieder gut? Von wegen‘, dachte ich, und klammerte mich wie ein verängstigtes Kind an die Frau neben mir. Diesmal war der Traum besonders verstörend gewesen. Ich war wieder an der Pforte der grotesken Kathedrale gestanden und hatte miterlebt, wie die Menschen dort lustvolle Höllenqualen litten, doch etwas hatte sich verändert. Als ich meine geliebte Penthouse-Lady erblickt hatte, war etwas Flehendes in ihrem Blick gelegen, das ich nie zuvor an ihr gesehen hatte.
Gabbys Nähe und Wärme hatte etwas Tröstliches und Beruhigendes. Diesmal gelang es mir sogar, wieder einzuschlafen, und für den Rest der Nacht blieb ich von weiteren Träumen verschont.
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Als ich am nächsten Morgen erwachte, war es später als sonst. Die Seite neben mir im Bett war leer. Ich hatte mich auf das gemeinsame Frühstück gefreut, mit dem wir unser Freitags-Date normalerweise beendeten. Andererseits war ich froh, nicht mit Gabby über den Traum sprechen zu müssen, dessen Bilder ich noch immer lebhaft in Erinnerung hatte.
In der Küche fand ich eine handgeschriebene Notiz von ihr: ‚Sorry, mein Schatz, aber Du hast so tief und fest geschlafen, dass ich Dich nicht wecken wollte. Vielen Dank für den wundervollen Abend. Liebe Grüße und bis nächsten Freitag, Gabby.‘
Ich duschte und brühte mir einen starken Kaffee auf, zu dem ich lustlos zwei Scheiben Toast aß. Dann überlegte ich mir, was ich mit dem freien Tag anstellen sollte. Die Schrecken der Nacht steckten mir noch tief in den Knochen. Was ich brauchte, war Ablenkung. Also zog ich Jeans, Turnschuhe und ein Holzfällerhemd an und warf mir eine alte Lederjacke über. Statt mit dem Lift nach unten zu fahren, nahm ich das Treppenhaus, um meinen Kreislauf in Schwung zu bringen. Als ich keuchend nach draußen trat (99 Stockwerke waren wohl doch etwas zu viel des Guten gewesen), war ich zunächst unschlüssig, wohin ich gehen sollte. Ich entschied mich für die Altstadt mit ihren vielen kleinen Läden und Bars.
Gerade als ich die große Kreuzung überqueren wollte, erstarrte ich regelrecht, denn auf der anderen Straßenseite stand die Lady aus dem Penthouse! Sie war nackt und noch immer mit den seltsamen Zeichen bemalt wie damals, als ich sie zum letzten Mal in ihrem Schlafzimmer gesehen hatte. Jetzt befand sie sich inmitten der Menschenmenge und warf mir denselben flehenden Blick zu wie in meinem Traum. Die übrigen Passanten hingegen liefen achtlos an ihr vorbei und schienen sie nicht zu bemerken.
Ich kniff die Augen fest zusammen. Wenn ich sie wieder öffnete, würde die Frau verschwunden sein, davon war ich fest überzeugt. Doch ich irrte mich. Sie stand noch immer da und sah mich verzweifelt an. War sie ein Überbleibsel aus meinem jüngsten Traum? Oder träumte ich jetzt sogar schon tagsüber mit offenen Augen? Ein junger Bursche rempelte mich an. „He Opa, merkst Du nicht, dass Du im Weg stehst?“ Das hörte und fühlte sich jedenfalls ziemlich real an.
Also war die Frau wirklich da, aber offenbar konnte nur ich sie sehen. War das möglich? Offenbar schon. Ich wartete die nächste Grün-Phase ab und lief mit den anderen Fußgängern über die Kreuzung. Die nackte Lady hatte sich umgedreht und ging von mir fort, warf aber immer wieder einen Blick über die Schulter, um sicher zu sein, dass ich ihr folgte.
Damit begann eine stundenlange Odyssee durch die Stadt. Irgendwann gab ich den Versuch auf, die Frau einzuholen. So sehr mich auch anstrengte, den Abstand zwischen uns zu verringern, es gelang mir nicht.
Die Viertel, durch die wir uns im Lauf des Tages bewegten, wurden immer schäbiger und trostloser, und die sinkende Nachmittagssonne verstärkte diesen Eindruck zusätzlich. Ich war froh, dass ich unrasiert war und alte Sachen trug und nichts, was nach Geld aussah. Wir kamen an halb verfallenen Gebäuden vorbei, deren finstere, glaslose Fenster uns wie die leeren Augenhöhlen von Totenschädeln anglotzten. Oder besser gesagt mich, denn die Lady war ja für alle anderen unsichtbar.
Schließlich erreichten wir eine Gegend am Stadtrand, von der ich bislang nicht mal geahnt hatte, dass sie existierte. Inzwischen waren wir weit weg von der glitzernden Pracht der luxuriösen Einkaufspassagen. Mir gefiel es hier überhaupt nicht. Deshalb hielt ich hoffnungsvoll Ausschau nach Taxis, aber auch die schienen einen weiten Bogen um dieses Gebiet zu machen. Die wenigen Menschen, die mir auf dem Bürgersteig entgegen kamen, beäugten mich abschätzend, ließen mich zum Glück aber in Ruhe.
Noch immer war die Frau etwa 50 Meter von mir entfernt, doch nun blieb sie vor einer Haustür stehen. Ohne diese zu öffnen, trat sie hindurch und verschwand, nachdem sie mich zuvor ein letztes Mal eindringlich angesehen hatte.
Gleich darauf schaute ich an der schmalen Fassade eines Gebäudes empor, das seinem Aussehen nach zu den ältesten Bauwerken der Stadt zählen musste und von einem verwilderten Garten eingerahmt wurde. Die Tür war einst schwarz lackiert gewesen, aber inzwischen war die Farbe ausgeblichen und blätterte an vielen Stellen ab. Ich konnte nirgends eine Klingel oder ein Namensschild entdecken, nur einen Türklopfer in Form eines Löwenkopfes, wie man ihn vielleicht vor zweihundert Jahren benutzt hatte. Etwas anderes fesselte meine Aufmerksamkeit zusätzlich: Unter dem Türklopfer befand sich ein Symbol, wie ich es auch auf dem Körper der Penthouse-Lady gesehen hatte. Konnte das ein Zufall sein? Wohl kaum. Die Lady — oder ihr Astral-Leib oder was auch immer — hatte mich demnach aus einem ganz bestimmten Grund hierher geführt. Ich hatte allerdings nicht die geringste Vorstellung, was für ein Grund das sein könnte.
Der Himmel hatte sich inzwischen rot verfärbt (wenn auch nicht so rot wie die Gewitterwolken in meinen Träumen). Bald würde die Dunkelheit hereinbrechen. Ich hielt es nicht für ratsam, noch länger im Freien zu stehen. Also hob ich zaghaft den Türklopfer und schlug ihn zwei-, dreimal gegen die darunter liegende Metallplatte.
Ich dachte schon, das Haus sei verlassen, doch dann hörte ich, wie ein Schlüssel herumgedreht und ein Riegel zurückgeschoben wurde. Die Tür öffnete sich einen Spalt. Eine zierliche Asiatin unbestimmbaren Alters musterte mich argwöhnisch. Sie trug ein hochgeschlossenes Kleid und hatte die Haare streng nach hinten gekämmt. „Was wollen Sie?“, fragte sie in einem unüberhörbar abweisenden Ton.
Ich räusperte mich. „Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber haben Sie die nackte Frau gesehen, die soeben dieses Haus betreten hat?“
„Hier war keine Frau“, sagte die Asiatin. „Verschwinden Sie!“
Sie wollte mir die Tür vor der Nase zuknallen, aber ich rammte in letzter Sekunde meinen Fuß in den Rahmen. „Die Frau hat dieses Symbol auf ihrem Körper!“ Ich deutete auf das Zeichen unter dem Türklopfer.
Die Asiatin sah mich verwirrt an. „Dieses Symbol?“
Ich nickte. „Dieses und viele andere. Ihr ganzer Körper ist damit bedeckt.“
Der Druck gegen meinen Fuß ließ nach. Die Asiatin streckte ihren Kopf raus und sah sich nach beiden Seiten um, dann öffnete sie die Tür weit genug, damit ich eintreten konnte. Sobald ich im Inneren des Hauses war, schloss sie hinter mir ab und schob den Riegel vor. Der Flur war nur spärlich beleuchtet, roch aber frisch und sauber. Eine hölzerne Treppe führte nach oben.
„Sie kennen diese Frau?“, wollte die Asiatin von mir wissen. Ihr Gesichtsausdruck schien mir nun eher besorgt als feindselig.
„Nicht wirklich“, gab ich zu.
„Aber Sie haben gesehen, wie sie durch diese Tür gegangen ist, obwohl sie verschlossen war?“
Hilflos zuckte ich mit den Achseln. „Ich weiß, wie verrückt das klingt, aber…“
„Wie hat sie ausgesehen?“
Ich beschrieb ihr die Penthouse-Lady, so gut ich konnte. Die Miene der Asiatin verfinsterte sich zusehends.
„Ling?“, ertönte eine männliche Stimme aus dem oberen Stockwerk. „Haben wir Besuch?“
„Kommen Sie“, sagte die Asiatin namens Ling und ging vor mir die Treppe hinauf. Dort angekommen, klopfte sie sachte gegen eine halb geöffnete Zimmertür.
„Nur herein.“
Ling ließ mich voran gehen. Ich betrat einen Raum, an dessen Wänden vollgestopfte Bücherregale standen. Vor dem einzigen Fenster hingen schwere Vorhänge. Eine altmodische Deckenlampe spendete warmes Licht. Zwei Sessel standen vor einem wuchtigen Schreibtisch. Dahinter saß ein hagerer, grauhaariger Mann in einer braunen Hausjacke und studierte mit einer Lupe etwas, das wie eine Pergamentrolle aussah. Als ich näher kam, blickte er auf.
„Hierher hat sich schon seit Jahren kein Vertreter mehr verirrt. Und auch Sie wirken nicht wie jemand, der uns etwas verkaufen könnte“, stellte er sachlich fest, klang dabei aber nicht unfreundlich.
„Ich hatte auch nicht vor…“, begann ich, doch Ling kam mir zuvor.
„Er hat Miranda gesehen!“
Bei diesen Worten ließ der Grauhaarige die Lupe sinken. „Miranda? Sie ist zurück?“
„Nein“, erklärte Ling. „Es war eine ‚Projektion‘, doch sie hat ihn hierher geführt.“
Der Grauhaarige erhob sich, trat hinter dem Schreibtisch hervor und kam auf mich zu. Er war größer, als ich zunächst angenommen hatte, und asketisch mager. „Herrje“, sagte er, als würde er mit sich selbst reden. „Ich wusste, dass diese Geschichte noch nicht vorbei ist.“ Dann sah er mich an. „Bitte, erzählen Sie mir alles, was Sie darüber wissen!“
Ich hob abwehrend die Hände. „Moment! Eins nach dem anderen. Ich bin den ganzen Tag lang einem Gespenst oder was auch immer hinterher gelaufen, nur um hier zu landen. Dabei weiß ich nicht mal, wieso. Wie wäre es, wenn Sie mir erst mal ein paar Fragen beantworten? Zum Beispiel, wer Sie sind und wo ich hier bin. Und wer zum Teufel ist Miranda?“
Daraufhin ging der Grauhaarige zu einem kleinen Sekretär, öffnete eine Schublade und nahm ein Foto heraus, das es mir reichte. „Ist das die Frau, die Sie gesehen haben?“
Ein Blick genügte, und meine Beine wurden weich. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Die wunderschöne, rotblonde Frau auf dem Foto war dieselbe, die ich monatelang von meiner Wohnung aus bei ihren zahllosen sexuellen Ausschweifungen beobachtet hatte. Es war die Frau, in die ich mich — warum auch immer — verliebt hatte.
Meine Reaktion schien dem Grauhaarigen als Antwort zu genügen. Ohne Widerstand zu leisten, ließ ich mich von ihm zu einem der Sessel führen und setzte mich. Der Grauhaarige nahm mir gegenüber Platz und wandte sich an die Asiatin, die noch immer im Türrahmen stand und uns aufmerksam beobachtete. „Ling, wärst Du bitte so freundlich und würdest uns Tee bringen?“ Ling nickte und ging.
„Oder bevorzugen Sie etwas Stärkeres?“, fragte er mich.
Ich schüttelte den Kopf. „Vielleicht später.“ Noch immer starrte ich wie gebannt auf das Foto. „Ihr Name ist… Miranda?“
„Ja. Aber ich glaube, wir sind gerade alle ein wenig aufgeregt“, sagte der Grauhaarige verständnisvoll. „Warum warten wir nicht, bis Ling den Tee bringt, und versuchen bis dahin, uns etwas zu beruhigen?“
„Einverstanden.“ Ein paar Augenblicke zum Durchatmen kamen mir durchaus gelegen. In meinen Kopf drehten sich die Gedanken unablässig um alles, was seit der letzten Nacht geschehen war. Ich sah mich in dem Zimmer um und las einige der Buchtitel in den Regalen. Die meisten waren in Latein verfasst, und obwohl ich darin nie gut gewesen war, verstand ich genug, um ein gewisses Unbehagen zu spüren. All diese Werke schienen sich auf die eine oder andere Art mit Magie zu beschäftigen: ‚Papyri Graecae magicae‘, ‚Codex Tro-Cortesianus‘, ‚Conjurationes adversus principem tenebrarum‘, ‚Grimorium Verum‘, ‚De pseudomonarchia daemonum‘, ‚Lemegeton Clavicula Salomoni’…
Ling kam mit einem Tablett zurück, auf dem eine Kanne und mehrere Tassen standen, und stellte es auf den Schreibtisch. Sie füllte zwei Tassen und gab sie uns, dann nahm sie sich selbst eine. Der Tee duftete köstlich, und mir wurde bewusst, dass ich seit meinem kargen Frühstück nichts mehr zu mir genommen hatte. Der Grauhaarige dankte Ling, die nun ganz nah bei ihm auf der Armlehne seines Sessels saß. Nachdem wir alle einen Schluck getrunken hatten, wandte sich der Mann mir zu.
„Nun gut. Sie haben eine Menge Fragen, was ich sehr gut verstehe, denn umgekehrt möchte ich auch von Ihnen einiges wissen. Miranda wollte, dass wir uns kennenlernen, und dafür muss es einen Grund geben. Aber wie Sie schon sagten — eines nach dem anderen. Lassen Sie uns damit beginnen, dass wir einander vorstellen. Mein Name ist Maximilian Rooks, und das ist meine Adoptivtochter Ling.“
„Nennen Sie mich John.“ Ich war noch zu misstrauisch, um den beiden meinen vollen Namen zu nennen.
„Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, John“, sagte Rooks, „auch wenn es seltsame Umstände sind, die uns zusammengeführt haben.“
„Kann man wohl sagen“, erwiderte ich. „Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, was hier eigentlich los ist.“
Rooks stellte seine Tasse beiseite. „Ganz sicher bin ich mir da auch noch nicht, aber gemeinsam finden wir es vielleicht heraus. Doch womit fangen wir am besten an?“
Ich deutete auf das Foto. „Wer ist diese Frau? Woher kennen Sie sie? Und was ist eine ‘Projektion’?“
„Das will ich Ihnen gerne erklären“, sagte Rooks. „Aber gestatten Sie mir zuvor eine Frage meinerseits, ja? Miranda ist Ihnen in Ihren Träumen erschienen, nicht wahr? Und es waren ungewöhnlich intensive Träume, möchte ich wetten.“
Ich war verblüfft. „Woher wissen Sie das?“
„Weil es nur so funktioniert. Dadurch hat sie eine Verbindung zu Ihnen hergestellt, damit Sie sie auch im Wachzustand sehen können.“
„Sie meinen, als ich dieser Frau… Miranda… gefolgt bin, war sie nur in meinem Kopf Wie ein Hirngespinst?“
„Nicht ganz“, erwiderte Rooks. „Ein Hirngespinst entsteht von allein, zum Beispiel aufgrund einer Krankheit, die Halluzinationen erzeugt. Das Ganze ist ein ziemlich unkontrollierbarer Vorgang. Bei einer ‚Projektion‘ hingegen werden Sie gezielt beeinflusst. In diesem Fall war es Miranda, die sich in Ihren Verstand eingeklinkt und Ihnen etwas gezeigt hat, das gar nicht da war.“
„Ich fürchte, ich kapier’s noch immer nicht“, sagte ich.
„Sie wissen, was Augmented Reality ist?“, schaltete Ling sich ein.
„Das Spielprinzip von ‘Pokemon Go’? Meinen Sie das?“
Sie nickte. „Sie sehen ein Wesen in der realen Umgebung, als wäre es wirklich da. Aber es existiert nur auf dem Bildschirm Ihres Smartphones. Eine ‚Projektion‘ bewirkt in etwa dasselbe hier oben.“ Sie tippte sich leicht an die Schläfe.
Rooks tätschelte sanft die Hand auf ihrem Knie. „Besser hätte ich es nicht erklären können, mein Schatz. Vielen Dank.“
„Schön und gut“, sagte ich, „aber ich verstehe noch immer nicht, was das alles soll.“
„Das kann ich Ihnen momentan auch noch nicht sagen“, gab Rooks zu. „Dazu muss ich erst noch mehr erfahren. Sie und Miranda… in welcher Beziehung stehen Sie zueinander?“
„In gar keiner“, log ich hastig. Nachdem ich monatelang ihr Voyeur gewesen war, konnte man kaum behaupten, dass es keine Beziehung zwischen uns gegeben hätte, aber das wollte ich vor den beiden nicht zugeben. „Bis vor wenigen Minuten kannte ich nicht mal ihren Namen.“ Das wenigstens entsprach der Wahrheit.
Rookss schüttelte den Kopf. „Es muss aber etwas zwischen ihnen beiden geben. Sonst hätte sie nicht Sie ausgewählt.“
„Ausgewählt? Wofür?“
„Wer weiß? Vielleicht, um sie von dort, wo sie jetzt ist, zurück zu bringen.“ Dabei sah mir Rooks direkt in die Augen.
Sie zurück zu bringen! Nach Hause holen! Retten! War es nicht das, was ich seither versucht habe? Gab es vielleicht doch eine Chance? Hoffnung keimte in mir auf. Aber konnte ich diesen Leuten, die für mich trotz ihrer Namen noch immer Fremde waren, wirklich vertrauen? Tja, das musste ich wohl. Die beiden schienen eine ganze Menge zu wissen über das, was hier vor sich ging. Jedenfalls mehr als ich. Und was hatte ich schon zu verlieren? Nichts.
„Na schön, ich geb’s zu. Ja, es gab eine Art Beziehung zwischen dieser Frau und mir, aber es ist… kompliziert. Und vieles habe ich bis heute nicht verstanden und werde es vielleicht auch nie. Ich habe Dinge erlebt, die ich nie für möglich gehalten hätte. Dass mich eine ‚Projektion‘ hierher gebracht hat, ist dabei noch das Harmloseste.“
„Ganz bestimmt“, bestätigte mir Rooks. „Aber glauben Sie mir, auch ich habe schon so manches erlebt. Deshalb bin absolut bereit, Ihnen zu glauben… und vielleicht sogar in der Lage, Ihnen zu helfen.“
„Ich könnte tatsächlich Hilfe brauchen“, sagte ich.
„Und ich versichere Ihnen, dass Sie Ling und mir vertrauen können.“
Also gut. Es war wohl an der Zeit, die Karte auf den Tisch zu legen, und zwar mit der Vorderseite nach oben. „Okay, ich werde Ihnen alles erzählen. Und wenn Sie mich anschließend für verrückt halten, ist es mir auch egal.“
„Seien Sie unbesorgt“, sagte Rooks. „Ich weiß, dass Sie nicht verrückt sind.“
„Warten Sie’s ab.“ Unruhig rutschte ich auf dem Sessel hin und her und atmete ein paar Mal tief durch, um meine Gedanken einigermaßen zu ordnen. „Also dann… angefangen hat alles damit, dass ich diese Penthouse gekauft habe…“. Zuerst erzählte ich meine Geschichte zögernd und stockend, aber schon bald sprudelte alles aus mir heraus, und es war eine Wohltat. Je mehr ich redete, desto leichter fiel es mir, und ich ließ kein noch so unangenehmes Detail aus. Wie ich die drei Kerben im Parkett entdeckte und dadurch auf das Schlafzimmer im Penthouse gegenüber aufmerksam wurde. Wie ich Miranda in den folgenden Monaten dabei beobachtete, wie sie hemmungslosen Sex mit Männern und Frauen hatte und sich ansonsten mit allerlei Sex-Spielzeug vergnügte. Selbst die Episode mit dem Hund verschwieg ich nicht. Wenn Rooks und Ling davon schockiert waren, ließen sie es sich nicht anmerken. Ich berichtete, wie ich erfolglos versuchte, mehr über diese Frau zu erfahren. Dann kam ich zu Mirandas Brief und zu jener schrecklichen Nacht, als sie verschwand. Ich erwähnte auch das Stativ, dass mir der Wachmann des Towers, in dem sich das andere Penthouse befand, am nächsten Morgen überreichte, und wie ich nach und nach die Zusammenhänge durchschaute. Schließlich beschrieb ich die unheimlichen Träume, die mich seither plagten.
Rooks und Ling hörten mir aufmerksam zu, ohne mich zu unterbrechen. Keine Ahnung, wie lange ich geredet hatte. Meine Kehle war irgendwann trocken. Ling stand auf und goss mir noch eine Tasse Tee ein, die ich dankbar mit wenigen Schlucken leerte.
„Tja, und so bin ich schlussendlich hier gelandet“, sagte ich und hielt die Tasse mit beiden Händen fest. „Ende der Geschichte. Bis jetzt jedenfalls.“
Eine Weile sagte niemand ein Wort. Rooks schien über alles nachzudenken. Es war so still in dem Zimmer, dass ich das Ticken der Wanduhr auf dem Flur hörte. Als Rooks sprach, erschrak ich beinahe.
„Danke, John“, sagte er. „Danke, dass Sie uns alles erzählt haben.“
„Und Sie glauben mir?“, fragte ich vorsichtig.
„Aber ja, natürlich. Jedes Wort“, antworte Rooks, ohne zu zögern. „Und da Sie uns gegenüber so offen waren, ist es nur fair, wenn ich Ihnen nun meinerseits von Miranda erzähle. Danach werden auch Sie vieles besser verstehen, denke ich.“
Gespannt beugte ich mich vor.
„Ihr vollständiger Name ist Miranda Leonore Winston“, begann Rooks. „Sie war erst meine Klientin, dann meine Geliebte.“
Ich konnte sehen, wie sich Ling bei diesen Worten versteifte, und auch Rooks schien das Thema unangenehm zu sein. Trotzdem fuhr er fort.
„Eines Tages stand sie vor unserer Tür und hatte das Buch dabei. Sie wissen, welches Buch ich meine, denn Sie haben es auch gesehen.“
‚Und ob‘, dachte ich. Zuletzt hatte Miranda es so fest an sich gepresst, als hinge ihr Leben davon ab. Was wahrscheinlich auch den Tatsachen entsprach.
„Es ist sehr alt und in einer nahezu unbekannten Sprache verfasst. Miranda wollte, dass ich es für sie übersetze. Dazu müssen Sie wissen, dass ich vor einer Ewigkeit ein angesehener Wissenschaftler war. Meine Fachgebiete waren Anthropologie und Archäologie, aber daneben gab es noch viele andere Themen, mit denen ich mich beschäftigte. Unter anderem Magie und Dämonologie.“ Er wies auf die Bücher in den Regalen. „Sie haben ja einige der Titel gelesen.“
Ich nickte, sagte aber nichts.
„Anfangs erforschte ich diese Dinge nur am Rande, sozusagen zur Abrundung meiner eigentlichen Arbeit. Doch mit der Zeit rückten sie immer mehr ins Zentrum meines Interesses. Ich fing an, uralte Geheimnisse zu entschlüsseln und darüber zu berichten. Beides war ein großer Fehler, denn ich erkannte erst spät — um ein Haar zu spät — wie gefährlich meine Experimente waren. Und ich ruinierte meinen bis dahin tadellosen Ruf. Das war das Ende meiner akademischen Laufbahn.“ Rooks seufzte. „Leider ist es mit der Magie wie mit einer Droge: Sie kann zu einer Sucht werden, von der man nicht so einfach loskommt. Mir war jedoch klar, welche Risiken ich dabei einging. Also traf ich Vorsichtsmaßnahmen, indem ich mich vollkommen aus dem öffentlichen Leben zurückzog, dieses Haus erwarb und es mit allen nur erdenklichen Schutz-Zaubern versah. Keine Kraft, die ich gewollt oder ungewollt entfesselte, sollte diese Mauern überwinden können.“
Ich dachte an das Symbol, das ich auf der Türe gesehen hatte.
„Ling hat trotz allem darauf bestanden, bei mir zu bleiben, und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist es nahezu unmöglich, sie davon abzubringen.“
Ling zuckte nur mit den Schultern.
„Was war mit Miranda?“, fragte ich.
„Wie gesagt, sie tauchte plötzlich hier auf. Wie sie von mir erfahren hatte, weiß ich bis heute nicht. Aber sie war reich und konnte sich alles kaufen, was sie wollte. Auch Informationen. Mich hat sie ebenfalls gekauft. Dieses Haus war noch längst nicht abbezahlt, und ich hatte kein regelmäßiges Einkommen mehr. Also bot Miranda mir an, alle meine Schulden zu tilgen und mich für meine Arbeit großzügig zu entlohnen. Und ich meine wirklich großzügig. Sie stellte mir eine so gewaltige Summe in Aussicht, dass ich nicht nein sagen konnte. Doch es gab noch einen anderen Grund, weshalb ich diesen Auftrag annahm.“
„Das Buch selbst?“, mutmaßte ich.
„Ganz recht. Es hatte keinen Titel, aber trotzdem wusste ich sofort, um welches Werk es sich dabei handelte. Ich hatte schon viel darüber gehört und gelesen, doch ich hätte mir nie träumen lassen, es eines Tages mit eigenen Augen zu sehen, geschweige denn, es in meinen Händen zu halten.“
Mein Magen gab ein deutlich hörbares Knurren von sich.
Rooks stand auf und streckte sich. „Verzeihen Sie mir, John. Ich bin ein schrecklicher Gastgeber. Es ist schon spät, und nach Ihrem langen Marsch sind Sie bestimmt müde und hungrig. Darf ich Sie zum Abendessen einladen und Ihnen unser Gästezimmer anbieten?“
„Bitte fahren Sie fort, Mr Rooks.“
„Max, bitte.“
„In Ordnung, Max. Ich möchte hören, wie es weiterging.“
Er nahm wieder in seinem Sessel Platz.
„Ich werde uns etwas zubereiten“, sagte Ling und verließ das Zimmer.
Max blickte ihr nach. „Sie ist ein gutes Mädchen“, sagte er. „Die Zeit mit Miranda war für sie nicht leicht.“
„Wie ging es weiter?“, hakte ich ungeduldig nach, auch auf die Gefahr hin, dadurch unhöflich zu sein. Max schien das jedoch nicht zu stören.
„Wo war ich stehen geblieben… ah ja. Miranda hatte also dieses Buch gefunden und gekauft. Vermutlich hatte sie ein Vermögen dafür bezahlt, aber das war für sie kein Problem. Sie war schon reich geboren worden, und als sie das Erbe ihrer Eltern angetreten hatte, konnte sie sich nahezu alles leisten. Doch sie wollte vor allem eins, nämlich die Grenzen der menschlichen Lust erkunden — und überschreiten. Ihre Gier nach neuen Erfahrungen war grenzenlos. Aber das wissen Sie ebenso gut wie ich, nicht wahr?“
Nach allem, was ich in Mirandas Schlafzimmer beobachtet hatte, konnte ich das nur bestätigen.
„Was unsere Welt zu bieten hatte und für Geld zu bekommen war, genügte ihr schon lange nicht mehr“, fuhr Max fort. „Das Buch versprach ihr den Übergang an einen Ort voll ungeahnter Genüsse. Doch dazu musste sie es erst verstehen und beherrschen.“
„Wie in ‚Hellraiser’, oder? Nur dass es dort ein Würfel war, der den Übergang ermöglichte.“
„Sie haben recht“, sagte Max. „In der Tat kommt Barker in seiner Geschichte der Wahrheit erstaunlich nahe. Ich habe mich immer gefragt… aber das spielt jetzt keine Rolle. Zurück zu Miranda. Sie hat mich verführt. Erst mit Geld, dann mit dem Buch und schließlich mit ihrem Körper. Ich nahm ihr Angebot an und machte mich unverzüglich an die Arbeit. Sie kam jeden zweiten oder dritten Tag vorbei, um sich über meine Fortschritte zu erkundigen. Es war kaum eine Woche vergangen, als wir das erste Mal miteinander schliefen. Danach war ich ihr hoffnungslos verfallen. In meinem ganzen Leben war ich nie einer Frau wie ihr begegnet. Sie hatte etwas an sich, dem ich nicht widerstehen konnte.“
Gütiger Himmel, mit wem außer mir hatte es Miranda nicht getrieben? „Sie haben sie geliebt?“
Max lachte bitter. „Das habe ich mir anfangs eingeredet, aber mit Liebe hatte das nichts zu tun, oh nein. Es war pure, animalische Lust. Dabei hätte ich ihr Vater sein können! Aber das war mir egal. Mir war alles egal, sogar Ling. Damals hätte ich sie beinahe verloren. Sie hatte sofort erkannt, wie zerstörerisch Miranda für mich war, aber ich wollte nichts davon hören. Stattdessen arbeitete ich Tag und Nacht an dem Buch, transkribierte Seite um Seite und konnte es kaum erwarten, Miranda wiederzusehen und für meine Mühen belohnt zu werden. Mit ihr erlebte ich Höhepunkte, die ich nie zuvor für möglich gehalten hatte.“ Er machte eine kurze Pause. „Als ich mit der letzten Seite fertig war, stand ich am Rand der totalen Erschöpfung. Noch am selben Abend überreichte ich Miranda das Original und die Übersetzung. Sie nahm beides mit einem Ausdruck in ihren Augen entgegen, der mich beunruhigt hätte, wäre ich nicht so ausgelaugt gewesen. Danach verschwand sie ebenso rasch wieder aus meinem Leben, wie sie aufgetaucht war.“ Er seufzte. „Das alles ist jetzt etwa drei Jahre her.“
„Zu dieser Zeit hat sie das Portal geöffnet“, murmelte ich nachdenklich.
„Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder zurück in die Normalität fand“, beendete Max seine Geschichte, „und ohne Ling hätte ich es wohl nicht geschafft. Von Miranda habe ich seitdem nie wieder etwas gehört — bis heute.“
„Ich habe uns etwas zubereitet“, sagte Ling. Keine Ahnung, wie lange sie schon an der Tür gestanden und uns zugehört hatte.
Max erhob sich. „Kommen Sie, John. Eine kleine Stärkung wird uns gut tun. Danach reden wir weiter.“
Mir war nicht nach Essen zumute, trotzdem stand ich auf und folgte den beiden in ein Nebenzimmer. Dort hatte Ling den Tisch gedeckt. Sie servierte uns eine Suppe, dazu reichte sie Brot, Käse, Obst und frischen Tee. „Wir essen kein Fleisch“, erklärte Max beinahe entschuldigend. Schon nach dem ersten Bissen merkte ich, wie hungrig ich in Wirklichkeit war. Zuerst hatte ich geglaubt, ich würde nichts runterkriegen, doch das war ein gewaltiger Irrtum.
Wie spät mochte es inzwischen sein? Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Wir aßen eine Weile schweigend. „Tut mir leid, dass ich einfach so bei Ihnen reingeplatzt bin“, sagte ich in die Stille hinein. „Mir ist erst jetzt bewusst geworden, wie seltsam mein plötzliches Auftauchen auf Sie beide gewirkt haben muss.“
„Oh nein“, erwiderte Max. „Wenn jemand um Verzeihung bitten muss, dann ich. Ohne mich wären Sie nie in die Lage gekommen, in der Sie sich jetzt befinden. Hätte ich das Buch nicht übersetzt…“
„… hätte Miranda jemand anderen gefunden“, vollendete ich Max’ Überlegung.
„Vermutlich“, sagte Max.
„Sie sagten, dass Miranda mich zu einem bestimmten Zweck ausgewählt habe. Was genau haben Sie damit gemeint?“
„Jetzt vielleicht einen Drink?“ fragte Max ausweichend. „Ich jedenfalls könnte einen vertragen.“
„Ich auch“, stimmte ich ihm zu.
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Wir gingen zurück in Max’ Arbeitszimmer. Dort holte er zwei Gläser aus einem Schrank und füllte sie mit Whisky. Ein Glas reichte er mir. Wir stießen nicht an, tranken aber gleichzeitig. „Guter Stoff“, sagte ich anerkennend.
Max goss uns beiden nach. „Ich kenne mich nicht aus mit Spirituosen. Ein ehemaliger Kollege — einer der wenigen, die sich nicht von mir abgewendet haben — besucht mich hin und wieder und bringt immer eine Flasche mit.“
Wir setzten uns wieder in die Sessel. Ling nahm ihren Platz auf Max’ Armlehne ein.
„Also gut. Bisher haben wir über die Dinge gesprochen, die unzweifelhaft geschehen sind“, sagte Max. „Über alles, was jetzt kommt, kann ich nur Vermutungen anstellen, wenn auch begründete.“
„Das ist mehr als alles, wozu ich in der Lage bin“, sagte ich. „Vor allem wüsste ich gerne, was es mit diesen Träumen auf sich hat. Darin ist alles so… real. Als wären es gar keine Träume, sondern… als wäre ich wirklich dort. Oder zumindest ein Teil von mir.“
„Und damit liegen Sie vollkommen richtig“, sagte Max. „In diesem Fall ist es eine ‚Projektion‘ Ihrer Person, doch auch das ist Mirandas Werk. In Ihren Träumen betreten Sie die Welt, in der sie sich jetzt befindet. Zum Glück sind Sie aber nur ein Beobachter, so dass Ihnen nichts geschehen kann.“
„Es ist grauenvoll dort! Ich kann mir nicht vorstellen, dass Miranda das wirklich gewollt hat.“
„Oh doch. Aber ich hatte sie gewarnt.“ Max trank noch einen Schluck. „Angefleht hatte ich sie, es nicht zu tun. Aber ich wusste, dass es zwecklos war. Miranda gehörte nicht zu den Menschen, die im letzten Augenblick einen Rückzieher machen.“
„Sie sprechen von ihr, als sei sie tot. Ist sie das?“
Max blickte in das nun leere Glas. „Ja und Nein. Miranda befindet sich in einer Welt zwischen den Welten. Die uns bekannten Naturgesetze von Raum und Zeit haben dort keine Gültigkeit. Davon konnten Sie sich bereits mit eigenen Augen überzeugen. Es ist eine Welt, die von Dämonen beherrscht wird. Wer sich dorthin begibt, erfährt schreckliche Schmerzen, aber zugleich auch Lust in einem nie gekannten Ausmaß. Schmerz und Lust sind dort ein- und dasselbe, auch wenn das kaum vorstellbar ist. Je größer die Qual, desto größer ist gleichzeitig die Befriedigung. Doch alles hat seinen Preis. Das ist wohl die einzige Regel, die im ganzen Universum gilt.“
„Und was heißt das genau?“
Max sah zu mir auf. „Miranda hat erkannt, dass sie diesen Ort ohne fremde Hilfe nie mehr verlassen kann. Sie dachte wohl, dass sie es schaffen würde, solange sie das Buch bei sich hat, aber Sie haben es nicht bei ihr gesehen, oder?“
„Nein“, sagte ich leise.
„Das dachte ich mir. Entweder hat sie es verloren, oder die Dämonen haben es ihr entrissen. Irgendwann wird es wieder in unserer Welt auftauchen und eine andere arme Seele ins Verderben stürzen… Wie auch immer — ohne das Buch hat Miranda keine Chance auf eine Rückkehr aus eigener Kraft.“
„Warum sollte sie das überhaupt wollen?“, fragte ich. „Immerhin hat sie doch gefunden, wonach sie gesucht hat, oder?“
„Gewiss, aber wie ich schon sagte: Alles hat seinen Preis. Niemand, der kein Bewohner dieser Welt ist, kann den extremen Kräften, die dort auf ihn einwirken, auf Dauer standhalten. Irgendwann ist die Grenze des Erträglichen überschritten, und dann ist die totale, unumkehrbare Auslöschung unvermeidlich.“
Es dauerte ein paar Sekunden, bis mir die Bedeutung von Max’ Worten klar wurde. „Miranda wird also sterben?“ Es war mehr eine Feststellung als Frage.
„Nicht im eigentlichen Sinne“, antwortete Max. „Der Tod wäre für sie eine Erlösung, aber es wird weitaus schlimmer kommen. Früher oder später wird ihr Körper die Belastungen nicht mehr ertragen und außerstande sein, sich wieder zusammenzufügen. Dann wird das, was von Miranda übrig ist, eins werden mit dieser entsetzlichen Welt und als ein Teil davon für immer weiterleben. Und davor hat sie — vollkommen zu Recht — große Angst.“
Nun verstand ich den Ausdruck in Mirandas Gesicht. „Und was können wir tun, um sie zu retten?“
„John, Sie müssen sich über eines im Klaren sein“, sagte Max und sah mich mit ernster Miene an. „Nur Sie allein können Miranda zurückbringen.“
Irgendwie hatte ich schon damit gerechnet. Trotzdem traf mich diese Offenbarung wie ein Schlag. „Warum ich? Sie sind doch der Fachmann auf diesem Gebiet.“
Max schüttelte den Kopf. „Miranda hat aber nicht mich auserwählt, sondern Sie. Und das zählt in diesem Fall mehr als alles andere.“
„Kann ich noch einen Whisky bekommen?“, bat ich und reichte Max mein Glas. Er schenkte mir bereitwillig nach. Ich widerstand dem verlockenden Drang, die köstliche bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem Zug runterzukippen. „Was muss ich tun?“
„Das Ritual wiederholen“, antwortete Max. „Und zwar an demselben Ort wie damals.“
„In Mirandas Schlafzimmer? Wie soll ich da reinkommen?“
„Sie werden einen Weg finden, da bin ich sicher.“
Das stimmte wahrscheinlich, und ich nahm an, dass das sogar der einfachere Teil des Unternehmens sein würde. „Angenommen, ich schaffe es tatsächlich — was dann? Ich habe keinen blassen Schimmer von Magie.“
„Mit den richtigen Formeln und Zeichen sind Sie absolut in der Lage, den Übergang erneut herzustellen“, sagte Max.
„Brauche ich dazu denn nicht das Buch?“, fragte ich (und ein Teil von mir hoffte, dass es so wäre, damit ich mich dieser Herausforderung nicht stellen musste).
Max schüttelte den Kopf. „Einer alten Gewohnheit folgend, habe ich damals von jeder Seite meiner Übersetzung eine Kopie angefertigt. Damit können Sie das Portal öffnen. Miranda wird vermutlich auf der anderen Seite bereits auf Sie warten. Sie müssen sie dann nur noch in unsere Welt ziehen und den Übergang wieder schließen.“
Ich lachte trocken und humorlos. „Wenn’s weiter nichts ist — eine meiner leichtesten Übungen!“
„Oh nein“, widersprach Max, „leicht wird es auf keinen Fall. Die andere Seite wird versuchen, Miranda an der Flucht zu hindern.“
Mit Schaudern dachte ich an die spinnenbeinartigen Auswüchse und die eklige Penis-Zunge, die ich in jener verfluchten Nacht gesehen hatte. „Gegen diese Monster habe ich keine Chance“, sagte ich niedergeschlagen.
„Doch, die haben Sie!“, sagte Max aufmunternd. „Ich bringe Ihnen alles bei, was Sie wissen müssen. Nach dem, was Sie berichtet haben, bleibt uns nicht mehr viel Zeit, aber wenn wir uns gleich an die Arbeit machen, schaffen wir es bestimmt. Miranda hat Sie nicht ohne Grund ausgesucht, und auch ich bin absolut davon überzeugt, dass Sie der Richtige für diese Aufgabe sind. Sie können Miranda retten, und das wollen Sie doch, nicht wahr?“
Ja, das wollte ich von Anfang an, allerdings hatte ich dabei nie in Betracht gezogen, gegen Dämonen antreten zu müssen. Doch wie es aussah, war die Entscheidung längst gefallen. Und da ich Max und Ling inzwischen wirklich vertraute, ergab ich mich meinem Schicksal. „In Ordnung. Fangen wir an.“
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Die Sonne war bereits aufgegangen, als ich endlich nach Hause kam. Entgegen meinen Befürchtungen war es nicht schwer gewesen, ein Taxi zu rufen, und der Fahrer war keiner von den redseligen Typen gewesen, wofür ich sehr dankbar war. So konnte ich wenigstens ein paar Minuten die Augen schließen.
Daheim angekommen, war an Schlaf jedoch nicht zu denken. Ich hatte gerade die Eingangstür geöffnet, als das Telefon klingelte. Der Anrufbeantworter zeigte 27 neue Nachrichten an. Ich nahm den Hörer ab. „Hallo?“
„Endlich!“, sagte die Stimme am anderen Ende hörbar erleichtert. „Seit gestern versuche ich, Sie zu erreichen. Sie wissen, wer hier spricht?“
Natürlich wusste ich das. Ich hatte die Stimme auf Anhieb erkannt. Es war der hünenhafte Wachmann des anderen Towers, der mir am Morgen nach Mirandas Verschwinden das Stativ gebracht hatte. „Was kann ich für Sie tun?“
„Wir müssen uns treffen. Sofort. Es ist wichtig.“
„Es geht um Miranda, nicht wahr?“, fragte ich. War ein Schuss ins Blaue, aber warum sonst sollte mich der Mann anrufen?
Statt meine Frage zu beantworten, sagte der Anrufer: „Kennen Sie das ‚Donuz’ in der 42sten?“
„Ja.“
„In fünfzehn Minuten?“
„Ich werde da sein.“
Der Anrufer legte auf.
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Als ich das ‚Donuz’ betrat, entdeckte ich den Mann auf Anhieb. Mit seiner Statur eines Football-Spielers (und zwar einer von denen, die ihre Gegner wie eine Dampfwalze überrollen) war er nicht zu übersehen. Er saß ziemlich weit hinten und so, dass er den ganzen Eingangsbereich im Blick hatte. Ich setze mich auf die Bank ihm gegenüber. Obwohl es noch früh am Sonntag war, herrschte in dem Café bereits Hochbetrieb. Die Bedienung kam vorbei. Wir bestellten beide Kaffee.
„Mein Name ist Leonard“, stellte der Mann sich vor.
Interessant, von wie vielen Menschen ich in den letzten 24 Stunden die Namen erfahren hatte. „John“, sagte ich nur. „Aber das wissen Sie ja bereits.“
Leonard nickte.
Der Kaffee wurde serviert.
Ich nahm einen großen Schluck, dann wandte ich mich meinem neuen Bekannten zu. „Sie wollten mich treffen. Sagten am Telefon, es sei wichtig. Hier bin ich. Also, was ist los?“
Leonard kam gleich zur Sache. „Ich habe Miranda gesehen.“
Damit waren wir schon zu zweit. „Und?“
„Sie hat mir damals einen Auftrag gegeben und mich dafür gut bezahlt“, sagte Leonard. „Ich sollte Ihnen das Paket bringen und wieder Kontakt mit Ihnen aufnehmen, wenn ich von ihr erneut ein Zeichen erhalte.“
Ob sie auch mit ihm geschlafen hatte? Da war ich mir ziemlich sicher, aber das spielte momentan keine Rolle. „Und jetzt hat sie Ihnen das Zeichen gegeben?“
„Wie ich schon sagte, ich habe sie gesehen. Aber sie war es nicht wirklich, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
Und ob ich verstand. „Reden Sie weiter.“
„Miranda sagte, wenn es soweit wäre, würden Sie vielleicht meine Hilfe brauchen.“
Da machte es ‚Klick!’ bei mir. Miranda mochte der Inbegriff der Promiskuität sein, aber sie war auch sehr intelligent und hatte von Anfang an einen Plan B gehabt, in dem Leonard und ich wichtige Rollen spielten. „Und ob ich Ihre Hilfe brauche“, sagte ich. „Sie müssen mich in Mirandas Penthouse bringen!“
Etwa eine Stunde später war ich wieder in meiner Wohnung und rief Gabby an. „Egal, was Du heute vorhast — sag es ab. Ich brauche Dich!“
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Gabby, Leonard und ich trafen uns kurz nach elf Uhr abends einen Block vom Tower entfernt, in dem sich Mirandas Penthouse befand. Gabby und Leonard trugen, wie besprochen, unauffällige Alltagskleidung. Ich stellte die beiden einander kurz vor, dann gingen wir unseren Plan nochmal durch. Gabby hatte ich nur erzählt, dass ich unbemerkt in das Penthouse gelangen musste. Nachdem ich ihr versprochen hatte, dass ich nichts Böses im Schilde führte und sie keinen Ärger bekommen würde, hatte sie keine weiteren Fragen gestellt.
Leonard gegenüber war ich etwas offener gewesen. Da er ebenfalls schon Bekanntschaft mit einer ‚Projektion‘ gemacht hatte, war er eher bereit, mir zu glauben. In alle Einzelheiten hatte ich aber auch ihn nicht eingeweiht. Es hätte viel zu lange gedauert und nichts gebracht. Für diesen Job wusste er genug.
Ein letztes Mal verglichen wir unsere Uhren. Ich umarmte Gabby und schüttelte Leonard die Hand. Dann ließen wir unser kleines Kommando-Unternehmen anrollen.
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Etwa gegen halb zwölf betrat ich die Lobby des Towers und ging schnurstracks an der jungen Empfangsdame vorbei, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Ich trug eine sportliche Jacke und hatte eine Golftasche geschultert, aus der deutlich sichtbar die Köpfe einiger Eisen ragten. Wer mich sah, dachte vermutlich, dass ich noch einige Schläge auf der nachts beleuchteten Driving Range geübt hatte.
Wenige Schritte hinter mir folgten Gabby und Lenoard. Sie hatte sich bei ihm eingehakt, so dass die beiden wie ein Paar wirkten, das sich nach einem abendlichen Spaziergang noch einen Absacker an der eleganten Bar neben der Lobby genehmigen wollte.
Wie Leonard mir erklärt hatte, führte nur der letzte Lift auf der rechten Seite ins Penthouse und auch nur dann, wenn man dafür den richtigen Schlüssel hatte — so wie er (auch das ein Teil von Mirandas Plan).
Ich stellte mich vor den Lift neben dem für das Penthouse und drückte die Ruftaste. Gleichzeitig steckte ich den Schlüssel in die dafür vorgesehene Öffnung und aktivierte damit den Penthouse-Lift. Gabby und Leonard waren gerade dabei, den Empfangsschalter zu passieren, als Gabby plötzlich schwindelig wurde und zu stürzen drohte. Leonard konnte sie gerade noch auffangen. „Schatz, was ist mit Dir?“, rief er besorgt und so laut, dass er nicht zu überhören war.
Die Empfangsdame war sofort aufgesprungen. „Sir, soll ich einen Arzt rufen?“
Dieser Moment der Ablenkung genügte mir. Beide Lifttüren öffneten sich nahezu gleichzeitig. Ich schlüpfte in die Kabine, die mich nach ganz oben bringen würde. Solange ich kein anderes Stockwerk wählte, würde der Aufzug automatisch das Penthouse ansteuern. Die Türen schlossen sich, und der Lift setzte sich geräuschlos in Bewegung. Ich betätigte den Timer meiner Uhr. Mir blieben etwa 30 Sekunden. Solange mussten meine beiden Komplizen die Empfangsdame beschäftigen. Ansonsten konnte ich nur hoffen, dass es keine Überwachungssysteme gab, von denen Leonard nichts wusste. Miranda hatte großen Wert auf Diskretion gelegt (außer mir gegenüber, wie es schien) und daher die Kameras im Lift und im Bereich des Penthouse deaktivieren lassen. Um in das Penthouse zu gelangen, musste ich jedoch einen achtstelligen Code eingeben. Sobald das geschah, würde am Empfang eine Lampe aufleuchten und anzeigen, dass jemand vorhatte, das unbewohnte Penthouse zu betreten, was um diese Uhrzeit womöglich Verdacht erregt hätte. Doch niemand würde die Lampe bemerken, wenn Gabby und Leonard ihre Sache gut machten, woran ich keinen Zweifel hegte. Also lag es an mir, es nicht zu vermasseln, indem ich zum Beispiel einen falschen Code eingab und dadurch Alarm auslöste.
Noch elf Sekunden. Der Lift bremste sanft ab. Acht Sekunden. Die Türen des Aufzugs öffneten sich. Sechs Sekunden. Zwei Schritte, und ich stand vor dem Ziffernfeld neben dem Eingang zum Penthouse. In der linken Hand hielt ich den Zettel mit dem Code, den ich zusammen mit dem Schlüssel von Leonard erhalten hatte. Fünf Sekunden. Ich tippte die Zahlen ein. Drei Sekunden. Nichts passierte. Mist! Hatte ich einen Fehler gemacht? Zwei Sekunden. Die Tür zum Penthouse öffnete sich mit einem sanften Klicken. Eine Sekunde. So schnell ich konnte, trat ich ein und schloss die Tür hinter mir.
Geschafft!
Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Tür und atmete ein paar Mal tief durch. Meine Bewegungen hatte einen Sensor aktiviert, der den Flur in sanftes Licht tauchte. Ich fischte mein Handy aus der Jacke und wählte Gabbys Nummer. Das Vibrieren ihres Smartphones war das Zeichen, dass ich das Penthouse erreicht hatte. Daraufhin würde sich Gabby langsam ‘erholen’ und mit Leonard an die Bar gehen, um ein Glas Wasser zu trinken. Von der Bar aus konnten die beiden den Tower unbemerkt verlassen.
Bis hierher hatte unser hastig zusammengeschusterter Plan also funktioniert. Leider wies er aufgrund der Eile, in der wir ihn entworfen hatten, einige Schwachstellen auf. So hatte ich zum Beispiel keine Ahnung, wie ich selber unauffällig wieder verschwinden konnte. Doch darüber würde ich mir später den Kopf zerbrechen — vorausgesetzt, dass ich diese Nacht überlebte.
Leonard hatte mir im ‚Donuz’ eine selbst gezeichnete, aber präzise Skizze mit dem Grundriss von Mirandas Penthouse gezeigt. Daher kannte ich den Weg zum Schlafzimmer. Ich hatte es unzählige Male von meiner Wohnung aus gesehen, und nichts hatte sich darin verändert. Trotzdem kam ich mir vor wie an einem fremden Ort, als ich den Raum betrat. Auch hier schaltete sich automatisch die schummrige Beleuchtung ein. Durch die Panoramascheibe auf der linken Seite konnte ich mein eigenes Penthouse sehen, das etwas höher lag. Wie gerne wäre ich jetzt dort gewesen!
Das riesige, halbrunde Bett sah bequem und einladend aus, und ich musste daran denken, dass ich seit beinahe 48 Stunden wach war. Nach meinem Treffen mit Leonard und dem Anruf bei Gabby hatte ich alles zusammengepackt, was ich für dieses Unternehmen brauchte, und dann versucht, ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Aber es war zwecklos gewesen. Statt mich weiter ruhelos umher zu wälzen, war ich aufgestanden, hatte mich an den Arbeitstisch gesetzt und mein Testament verfasst… nur für alle Fälle. Ich wünschte, Max wäre hier und würde mir beistehen, doch das hatte er kategorisch abgelehnt. „Ich habe schon genug Unheil angerichtet, John. Es ist besser, wenn ich mich nicht weiter einmische. Sie schaffen es auch ohne mich, da bin ich ganz sicher. Und wenn Sie können, verzeihen Sie mir bitte, dass ich Sie nicht begleite.“ Das waren seine Worte gewesen, als wir uns in den frühen Morgenstunden die Hände geschüttelt und uns verabschiedet hatten. Ling hatte mich umarmt, auf die Wange geküsst und mir alles Gute gewünscht.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es an der Zeit war, anzufangen. Ich warf die Golftasche auf das Bett, öffnete sie und breitete den Inhalt auf der Matratze aus. Aus meiner Jacke holte ich die Seite mit den Beschwörungsformeln. Die Bewegungen, die ich dabei mit einer Hand vollführen sollte, waren als Linien und Kreise dargestellt. Da ich nicht in die andere Welt hinüber wechseln wollte, war es nicht nötig, nackt vor das Portal zu treten und meinen Körper mit all den Symbolen zu bemalen, wie Miranda es getan hatte, aber ohne die Figuren, die ich in die Luft zeichnen musste, ging es nun mal nicht. Max hatte mir gezeigt, wie es funktionierte, doch aufgrund des allgegenwärtigen Schutz-Zaubers in seinem Haus waren meine Übungen bloße Theorie geblieben. Hier, in Mirandas Schlafzimmer, würde das vermutlich anders sein.
„Na schön“, sagte ich zu mir selber, „bringen wir’s hinter uns.“ Nervös wie vor einer enorm wichtigen Prüfung stellte ich mich dorthin, wo auch Miranda damals gestanden hatte und vergewisserte mich, das ich einen stabilen Stand hatte. Dann rief die erste Beschwörung — Max hatte sie so aufgeschrieben, wie ich sie aussprechen musste — und vollführte gleichzeitig die dazu notwendige Bewegung mit der linken Hand. Unmittelbar darauf konnte ich zwar deutlich eine Art Knistern hören und spürten, wie die Atmosphäre im Zimmer vibrierte, doch sonst passierte nichts.
„Ganz ruhig“, murmelte ich, konzentrierte mich und versuchte es noch mal. Wieder sprach ich die Worte, deren Bedeutung ich nicht einmal verstand, und formte das passende Symbol. Es erschien augenblicklich und schwebte glühend vor mir. Fasziniert und erschrocken zugleich starrte ich es an, doch nach wenigen Sekunden verschwand es wieder. Ich hatte zu lange gezögert, um mit dem Ritual fortzufahren.
Also rief ich die magischen Worte zum dritten Mal und zeichnete die Form, die sogleich leuchtend vor mir erschien. Dann zitierte ich die zweite Zeile, spreizte meine Finger und ließ sie durch die Luft gleiten. Ein neues Symbol erschien. Gütiger Himmel, es funktionierte! Und nicht nur das. Mit jeder weiteren Beschwörung wurde es leichter. Es war, als hätte eine fremde Kraft von mir Besitz ergriffen und würde mich lenken. Ich fühlte, wie mich eine nie zuvor gekannte Macht durchströmte. Immer schneller sprach ich die magischen Worte und vervollständigte die leuchtenden Muster, die anfingen, sich nach und nach zu verbinden und zu drehen, bis vor mir ein wirbelnder, funkensprühender Lichtkreis entstand, der beinahe vom Boden bis zur Decke reichte.
Ein paar Herzschläge lang konnte ich noch die dahinter liegende Wand des Zimmers erkennen. Dann füllte sich das Innere des Lichtkreises mit einer Dunkelheit, die intensiver war als alles, was ich je gesehen hatte. So musste es im Inneren eines Schwarzen Lochs aussehen, wenn selbst das Licht verschluckt wurde.
Ein euphorisches Triumphgefühl erfasste mich. Es war mir gelungen, das Portal zu öffnen! Einen Sekundenbruchteil später verwandelte sich meine Euphorie in nackte Angst. Ich hatte tatsächlich das verdammte Portal geöffnet!
Alles Weitere passierte so schnell, dass mir keine Zeit blieb, weiter darüber nachzudenken. Eine Hand tauchte aus der Schwärze auf, gefolgt von einem Arm. Ich erkannte die Symbole darauf sofort wieder. Es war Miranda, die mir hilfesuchend ihre Finger entgegen streckte. Ich ergriff sie und zog die Frau mit aller Kraft aus der Finsternis. Sie flog mir förmlich entgegen, so dass wir beide unsanft auf dem Boden landeten.
Miranda war wieder in ihrer — unserer — Welt, doch Max hatte mich gewarnt, dass die Dämonen sie nicht tatenlos würden gehen lassen. Und genauso war es. Zwei der armdicken, ekelhaften Fühler, die mir schon beim ersten Anblick einen maßlosen Schrecken eingejagt hatten, schossen brüllend aus dem Portal und schlugen wild um sich. Einer von ihnen traf die Panoramascheibe und zerschlug krachend das Sicherheitsglas in Milliarden winziger Kristalle, die als glitzernde Wolke in die Nacht geschleudert wurden. Sofort war das Schlafzimmer erfüllt von eisiger Kälte und dem Heulen des Windes, der mit dem wutentbrannten Kreischen aus der anderen Welt zu einer grauenvollen Kakophonie des Wahnsinns wurde.
Das Schlafzimmer verwandelte sich in Sekunden in ein Schlachtfeld. Wie außer Kontrolle geratene Starkstromkabel zuckten und peitschen die Fühler durch den Raum, rissen die Tapete in Fetzen und zertrümmerten alles, was ihnen im Weg stand. Als sie die Lampen zerschmetterten, wurde es bis auf das Glühen des wirbelnden Lichtrings dunkel im Raum.
Gerade als ich mich aufgerappelt hatte, traf mich einer der Fühler und schleuderte mich gegen die Wand. Ich schrie vor Schmerz und sackte zusammen. Alles drehte sich um mich, und ich sah buchstäblich tanzende Sterne vor meinen Augen. Außerdem schmeckte ich Blut und bekam kaum noch Luft. Dann hörte ich Miranda. Auch sie schrie, aber aus einem anderen Grund. Der zweite Fühler hatte sie geschnappt und sich um ihre Fußknöchel geschlungen. Nun zog er sie unbarmherzig zu sich. Miranda versuchte, sich in den Teppich zu krallen und irgendwo festzuhalten, doch es war zwecklos. Der Schlund, dem sie erst vor wenigen Augenblicken entkommen war, rückte unaufhaltsam näher, und noch mal würde es mir nicht gelingen, sie von dort zurück zu holen.
Benommen kämpfte ich mich auf die Beine und wich einem erneuten Hieb mit mehr Glück als Verstand um Haaresbreite aus. Der Fühler traf eine Schranktür, bohrte sich hinein und riss sie spielerisch leicht aus den Angeln. Ich hechte ungeschickt auf das Bett – in Actionfilmen sieht das immer viel besser aus als im wahren Leben — und griff nach dem messingfarbenen Stativ mit den spitz zulaufenden Beinen, das mir Leonard am Tag nach Mirandas Verschwinden gebracht hatte. Ich hatte keine Ahnung gehabt, was es damit wirklich auf sich hatte. Max hingegen schon. Ihm war sofort klar gewesen, dass das Stativ aus einer ganz besonderen Legierung gefertigt war und eine mächtige Waffe gegen alles Dämonische darstellte. Wieder ein Puzzlestück aus Mirandas Plan, das sich in das Gesamtbild einfügte. Meine Golftasche war die Tarnung gewesen, um das Ding unbemerkt einzuschmuggeln.
Miranda war bereits bis zu den Knien zurück in die andere Welt gezerrt worden. Unsere Blicke trafen sich, und ihre Lippen formten lautlos meinen Namen. Da wusste ich, dass ich ihr lieber folgen oder sterben würde, als sie erneut zu verlieren. Ich packte das schwere Stativ mit beiden Händen, torkelte auf das Portal zu und drehte die Spitzen wie Dolche in Richtung der tiefschwarzen Rundung. Das Metall wurde spürbar heiß in meinen Händen und summte förmlich, als hätte es plötzlich ein Eigenleben entwickelt. Es schien nur darauf zu warten, endlich losgelassen zu werden. Mit aller Kraft, die ich noch hatte, schleuderte ich das Stativ wie eine Harpune in das schwarze Nichts.
Es gab einen grellen Blitz und eine Druckwelle, die mich zurück auf das Bett warf, wo ich unsanft zwischen den Golfschlägern landete. Das infernalische Brüllen verebbte schlagartig. Bis auf das Tosen des nächtlichen Windes wurde es still in Mirandas Schlafzimmer oder dem, was davon noch übrig war. In der Ferne glaubte ich Sirenen zu hören. Polizei? Rettungskräfte? Wahrscheinlich beides. Die Glaskörner hatten bestimmt niemanden verletzt, waren aber keinesfalls unbemerkt geblieben. Und der Lärm sicher auch nicht.
„John?“, hörte ich Mirandas besorgte Stimme. Ein tonnenschweres Gewicht fiel von mir ab. Das Portal war geschlossen, aber Miranda war hier und am Leben!
„Miranda! Bist Du verletzt?“, rief ich.
„Nein“, antwortete sie. „Und Du?“
„Dieser verdammte Blitz! Ich kann nichts sehen!“ Meine geblendeten Augen erholten sich nur langsam. Miranda hatte bäuchlings auf dem Boden gelegen und nicht in das Portal geblickt, daher waren ihre Augen in Ordnung. Sie kroch auf mich zu, hievte sich auf die Matratze und legte sich zu mir. Ich tastete blind nach ihr, ergriff ihre Hand. Miranda zitterte, vielleicht wegen der Kälte, vielleicht wegen allem, was geschehen war.
Die Sirenen kamen näher. „Wir müssen von hier verschwinden“, sagte ich. Nach und nach wurde es mit meinem Sehvermögen besser. Mühsam standen wir auf. Meine Brust tat höllisch weh, und meinem Kopf ging es nicht besser. Mirandas Kleider lagen im ganzen Zimmer verstreut. Sie bückte sich, schnappte sich den erstbesten Mantel und schlüpfte hinein. Uns gegenseitig stützend, schlurften wir aus dem zerstörten Schlafzimmer und den Flur entlang durch die Eingangstür, bis wir vor dem Lift standen.
Als wir in der Kabine waren, wollte ich schon die Taste für das Foyer drücken, doch Miranda hielt mich davon ab. „Nimm das Parkdeck! Dort steht mein Wagen.“ Ich fragte sie nicht, ob sie auch den Schlüssel dafür hatte, sondern tat, was sie sagte. Der Lift rauschte nach unten. Als wir die Ebene des Parkdecks erreichten, erwartete uns eine freudige Überraschung in Form einer dunklen Limousine mit laufendem Motor. Leonard hielt die hintere Tür auf und drängte uns gestikulierend zur Eile. Kaum saßen wir auf der Rückbank, schwang sich Leonard hinters Steuer und gab Gas. Ich drückte Miranda fest an mich, und sie legte ihren Kopf an meine Schulter. Im warmen, windgeschützten Inneren des Wagens bemerkte ich zum ersten Mal, dass ihr noch der Geruch der anderen Welt anhaftete. Oder, um es ganz deutlich zu sagen, meine geliebte Penthouse-Lady stank erbärmlich. Doch das störte mich nicht. Nach allem, was wir gerade erlebt und durchgemacht hatten, störte mich eigentlich gar nichts mehr. Ich war einfach nur froh, dass wir überlebt hatten und ich Miranda im Arm hielt. Allein darauf kam es an, alles andere war unwichtig.
Leonard brachte uns unbemerkt aus der Garage des Towers und fädelte sich geschickt in den fließenden Verkehr ein. Überall sah ich rotierende Blaulichter, doch niemand hielt uns auf.
Auf meine Frage, warum er in der Garage gewesen war, antwortete Leonard, dass er und Gabby den Knall gehört hatten, mit dem das Panoramafenster zerborsten war. Da sei ihm klar geworden, dass wir seine Hilfe erneut brauchen würden, und hatte auf gut Glück unten auf uns gewartet. Zuerst wollte Gabby ihn begleiten. Da er aber nicht wusste, was noch alles passieren würde und sie nicht in Gefahr bringen wollte, hatte er ihr ein Taxi gerufen und sie nach Hause geschickt. Als ich das hörte, ließ ich mich erleichtert zurück in Mirandas Arme sinken. Wenige Minuten später bog der Wagen in die Zufahrt zu dem Wolkenkratzer ein, in dem sich meine Wohnung befand. Ich reichte Leonard meine Zugangskarte, damit er die Schranke öffnen konnte. Vor den Aufzügen auf dem Parkdeck hielt er an und ließ uns aussteigen.
„Mein Job ist damit erledigt, und zwar endgültig“, sagte er, jedoch mehr zu Miranda als zu mir. „Ist das klar?“
Miranda nickte stumm.
Bevor er sich von uns abwenden konnte, packte ich seine rechte Pranke und schüttelte sie. „Danke für Ihre Hilfe, Leonard. Danke für alles.“
Er erwiderte meinen Händedruck kurz, dann ließ er mich los, bedachte Miranda und mich mit einem Blick, der deutlich besagte, dass er von uns nie wieder etwas hören oder sehen wollte, klemmte sich hinter das Steuer seines Wagens und brauste davon.
Ich betete, dass der Aufzug um diese Uhrzeit leer war und niemand einsteigen würde, bis wir in meinem Penthouse waren. Meine Gebete wurden wohl erhört, denn wir kamen unbemerkt oben an, doch erst als die Tür zu meiner Wohnung hinter mir ins Schloss fiel, fühlte ich mich endlich in Sicherheit.
Ich führte Miranda ins Wohnzimmer. Ohne zu fragen, ob sie etwas trinken wollte, füllte ich zwei Gläser großzügig mit Scotch. Sie kippte ihren Whisky auf ex, noch bevor ich mein Glas auch nur in die Nähe meiner Lippen gebracht hatte.
„Was dagegen, wenn ich mal dusche?“, fragte sie. „Ich weiß, dass ich nicht sonderlich gut dufte, außerdem möchte ich endlich diese verdammten Symbole loswerden.“ Sie sagte das, als würde sie gerade vom Joggen kommen. Offenbar hatte sie ihre Flucht und den Angriff aus der Dämonenwelt ziemlich gut verkraftet. Jedenfalls besser als ich.
„Natürlich“, sagte ich und zeigte ihr das Bad, wo ich ihr den Mantel abnahm. Dass sie nichts darunter anhatte, schien sie nicht zu stören. Warum auch? Nach allem, was ich von ihr schon gesehen hatte, gab es für sie keinen Grund, mir gegenüber mit einem Mal schüchtern zu sein. Sie betrat die geräumige Duschkabine und drehte das Wasser auf. Währenddessen holte ich frische Handtücher aus dem Schrank. Was vor weniger als einer Stunde in Mirandas Schlafzimmer geschehen war, erschien mir zunehmend wie eine fiebrige Halluzination, obwohl ich genau wusste, dass es das nicht gewesen war. Plötzlich wurde mir eiskalt, und ich musste mich am Waschbecken festhalten. Konnte es sein, dass sich ein verspäteter Schock bei mir einstellte?
Dann spürte ich Mirandas Hand an meinem Arm. „Du siehst aus, als könntest Du ebenfalls eine Dusche vertragen. Komm rein.“
Ohne zu widersprechen, zog ich mich mit klammen Fingern aus und ließ meine Sachen achtlos zu Boden fallen. Die Stelle, wo mich das verdammte Ding getroffen hatte, prangte deutlich als feuerroter Balken quer über meiner Brust und tat auch noch ganz schön weh (ein weiterer Beweis, dass ich mir das alles nicht eingebildet hatte). Zum Glück schien nichts gebrochen zu sein. Müde und erschöpft stieg ich unter den perlenden Strahl. Das Wasser kam mir kochend heiß vor, wirkte aber wunderbar belebend. Alles war so voller Dampf, dass ich Miranda wie durch einen Nebelschleier sah. Umso deutlicher konnte ich sie fühlen. Sie schmiegte sich eng an mich, und meine Hände erforschten ihren Körper, von dem jede Spur des widerlichen Geruchs verschwunden war. Wir küssten uns zum ersten Mal, und es war ein leidenschaftlicher Kuss, bei dem sich unsere Zungen aneinander drängten. Mein Schwanz versteifte sich augenblicklich. Wildes Verlangen packte uns beide. „Nimm mich!“, gurrte Miranda mit heiserer Stimme. Sie drehte sich um und beugte sich leicht nach vorne, während sie sich mit den Händen an der gekachelten Wand abstützte. Konnte das wirklich wahr sein? Wir waren gerade einem schrecklichen Albtraum entkommen, und jetzt wollte sie mit mir ficken? Aber da ich es genauso wollte, zögerte ich keinen Augenblick. Mein Penis war inzwischen so hart, wie er nur sein konnte. Ich dirigierte ihn an Mirandas feuchte Vagina und drang ohne ein weiteres Vorspiel tief in sie ein. „Oh ja“, keuchte sie, als meine Stöße immer schneller wurden, und es dauerte nicht lange, bis wir beide den ersten von vielen Höhepunkten erreichten…
Die restliche Nacht und der nächste Tag vergingen wie in einem Rausch. Wenn wir nicht schliefen oder aßen, hatten wir Sex in allen Variationen. Miranda bot mir jede ihrer Öffnungen dar, und ich nahm sie mit Freuden. Und obwohl ich keine zwanzig oder dreißig mehr war, bewies ich eine Kondition, wie ich sie mir selbst nicht zugetraut hatte. Miranda stellte Dinge mit mir an, die ich mir nie hätte träumen lassen, und ich konnte nicht genug davon bekommen. Alles, was ich mir zuvor lustvoll in meinen Gedanken ausgemalt hatte, wurde Wirklichkeit… und noch einiges mehr. Wenn ich glaubte, es könnte nicht mehr besser werden, hatte Miranda einen neuen Trick auf Lager, und es wurde noch besser! Gegen Miranda waren alle anderen Frauen, mit denen ich jemals Sex gehabt hatte — selbst Gabby — unbedarfte Klosterschülerinnen. Wieder und wieder fanden wir zueinander, als gäbe es kein Morgen mehr, und vögelten uns durch alle Zimmer (den Fitness-Raum mit den Trainings-Geräten inbegriffen).
Doch wann immer ich in einer ruhigen Minute mit ihr über das Geschehene sprechen oder mich einfach nur mit ihr unterhalten wollte, um mehr über sie zu erfahren, zog sie sich zurück und schwieg. Und dann passierte etwas Merkwürdiges.
Okay, ich weiß, dass das meiste an meiner Geschichte ziemlich merkwürdig klingt, aber mit dem, was nun geschah, hatte ich am allerwenigsten gerechnet. Ich war davon überzeugt gewesen, der glücklichste Mensch zu sein, wenn es mir gelänge, Miranda zu retten und sie dann für immer bei mir zu haben. Aber das stimmte nicht. Nachdem wir es zum x-ten Mal miteinander getrieben hatten und Miranda mit dem Kopf auf meiner Brust tief und fest eingeschlafen war, lag ich noch lange wach im Dunkeln, starrte an die Decke… und vermisste Gabby, mein ‚Freitagsmädchen’. Gabby, mit der ich so herrlich ungezwungen reden und lachen konnte. Die mich nach meinem schlimmen Traum festgehalten, gestreichelt und beruhigt hatte wie eine echte Freundin. Die sofort bereit gewesen war, mir zu helfen, als ich ihre Hilfe am nötigsten gebraucht hatte.
Der Sex mit Miranda war fantastisch, doch ansonsten gab es nichts, was uns einander näher brachte. Ich hatte mich aus der Ferne in Miranda verliebt, ohne sie wirklich zu kennen, und nun wurde mir klar, dass sie zwar ihr Versprechen halten würde, ich mir aber nichts weiter erhoffen durfte. Ihr Körper mit all seinen Verheißungen gehörte mir. Ihr Herz jedoch würde mir nie gehören.
Eine Weile mochte der Sex genügen, doch wie lange? Würde Miranda mich jemals in den Arm nehmen und trösten, wenn ich deprimiert war? Würde sie verständnisvoll zuhören, wenn ich meine Sorgen und Probleme mit ihr teilen wollte? Und würde sie mir umgekehrt die Dinge anvertrauen, die ihr auf der Seele lagen? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Es gab eine kühle Distanziertheit an ihr, die mich völlig aus ihren Gedanken und Gefühlen ausschloss.
Und noch etwas ließ mir keine Ruhe. Wie hatte Miranda so sicher sein können, dass ihr Plan funktionieren würde? Was wäre geschehen, wenn ich etwas anders gemacht hätte? Wenn ich mich beispielsweise nicht in sie verliebt hätte und nicht bereit gewesen wäre, zu warten? Oder hatte Miranda auch dafür gesorgt, indem sie mich mit einer Art Zauber manipuliert hatte? Vielleicht war ihr Brief mehr gewesen als nur ein Blatt Papier mit ein paar handschriftlichen Zeilen. Da ich inzwischen einiges über diese Dinge wusste, hielt ich das nicht für unwahrscheinlich. Ich wollte zwar nicht so weit gehen, Miranda eine Hexe zu nennen, aber… na ja, in gewisser Weise war sie das vielleicht doch.
Als ich Zeit fand, die eingegangenen Nachrichten auf meinem Handy zu checken, fand ich darauf einen Anruf von Gabby. Sie klang sehr besorgt und wollte wissen, ob es mir gut gehe. Ein Gefühl tiefer Zuneigung erfüllte mich. Ich schickte ihr eine Kurznachricht, dass bei mir alles okay sei und ich mich in den nächsten Tagen melden würde.
Im Internet fand ich viele Artikel über den Regen aus Glaskristallen, der am vergangenen Sonntag kurz vor Mitternacht auf die Straße neben dem Tower niedergegangen war und einen Großeinsatz der Polizei, des FBI, der Anti-Terror-Einheit und verschiedener Rettungs-Teams ausgelöst hatte. Inzwischen schien festzustehen, dass es keine Explosion gewesen war und dass es keine Hinweise auf einen Anschlag gab. Stattdessen war die Rede von einem Materialfehler, der dazu geführt habe, dass die Scheibe völlig unerwartet in winzige, aber harmlose Stücke zersprungen sei. Über das völlig zerstörte Zimmer wurde nichts berichtet.
Am Dienstagmorgen rief mich Bill an, mein hörbar beunruhigter Geschäftspartner. Er wollte ebenfalls wissen, ob bei mir alles in Ordnung sei. Herrje, die Firma hatte ich in den letzten Tagen vollkommen vergessen! Höchste Zeit, dass ich mich wieder um die alltäglichen Dinge des Lebens kümmerte.
Als ich mich von Miranda verabschieden wollte, stand sie, dürftig bekleidet mit einem meiner Hemden, am Fenster und trank eine Tasse Kaffee, während sie zu ihrem Schlafzimmer hinüber schaute. Auch ohne Fernglas konnte man die zerfetzten Vorhänge sehen, die geisterhaft im Wind flatterten, und die rot-weiß-gestreiften Absperrbänder, die vor der fehlenden Scheibe warnten. Miranda sah sehr sexy und verführerisch aus in ihrem improvisierten Pyjama, und am liebsten hätte ich in der Firma angerufen und mir auch noch den heutigen Tag freigenommen. Da aber eine wichtige Besprechung mit einem neuen Kunden bevorstand und ich meine Teilnahme fest zugesagt hatte, riss ich mich zusammen. Ich umarmte Miranda von hinten und küsste ihren Hals. „Ich versuch’s kurz zu machen, okay? Spätestens gegen vier bin ich wieder zuhause.“
„Okay“, sagte sie, klang dabei aber merkwürdig abwesend und desinteressiert. „Hab’ auch einiges zu erledigen.“ Statt sich umzudrehen und mir einen Kuss zum Abschied zu geben oder wenigstens noch irgendwas Nettes zu sagen, starrte sie weiter auf ihr Penthouse.
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Ich nahm geistig kaum an der Besprechung teil, war aber wenigstens soweit bei der Sache, dass ich die paar Fragen, die an mich gestellt wurden, ohne Probleme beantworten konnte. Ansonsten überließ ich die Präsentation meinem Geschäftspartner, der den Deal eingefädelt hatte und auch die Lorbeeren dafür einheimsen durfte. Er machte seine Sache sehr gut, und am Ende hatten wir den Auftrag in der Tasche.
Als wir allein waren, fragte mich Bill, ob ich was von der Sache mit dem Fenster im Gebäude gegenüber mitbekommen habe, weil ich schließlich mehr oder weniger direkt daneben wohne. Ich sagte, dass ich auch nur das wüsste, was in den Zeitungen stand, und verabschiedete mich, bevor er weitere Fragen stellen konnte.
Statt jedoch direkt nach Hause zu fahren, hielt ich nahe am Park und ging dort eine Weile spazieren. Ich fand eine leere Bank und setzte mich (langsam und vorsichtig, denn meine Brust schmerzte noch immer höllisch), um im warmen Licht der Nachmittagssonne über einiges nachzudenken. Dabei beobachtete ich die Leute, die an mir vorbeikamen. Spaziergänger, junge Leute auf Skateboards und Fahrrädern, Läufer in Sport-Klamotten, Pärchen mit Kinderwagen, rüstige Senioren. Frisbees schwebten durch die Luft, und aus der Ferne hörte ich Hundegebell und die typischen Geräusche eines Baseball-Spiels. Würziger Rauchgeruch verriet mir, dass in der Nähe gegrillt wurde. Alles war so friedlich. Der Klassiker von Louis Armstrong, ‘What a wonderful world’, kam mir in den Sinn. Wenn all diese Menschen um mich herum auch nur geahnt hätten, wie dünn die Grenze zwischen den Welten war, wären sie wohl nicht so unbeschwert gewesen. Manchmal konnte Unwissenheit ein Segen sein.
Doch das allein war es nicht, worüber ich mir Gedanken machte.
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Es wurde später als vier, bis ich nach Hause kam. Im Flur stapelten sich mehrere Kartons mit den Logos namhafter Boutiquen. Miranda war gerade dabei, ein Kleid anzuprobieren.
„Du warst shoppen?“, fragte ich.
„Nur das Nötigste und auch nur online“, sagte Miranda. „Momentan komme ich nicht an die Sachen in meiner Wohnung, und irgendwas zum Anziehen brauche ich schließlich, wenn ich nicht dauernd in Deinen Klamotten rumlaufen will. Hab’s mir hierher liefern lassen. Ich hoffe, das macht Dir nichts aus.“
„Nein, natürlich nicht.“ Ich half ihr, indem ich den Reißverschluss am Rücken des Kleides nach oben zog. Sie sah toll darin aus, und das sagte ich ihr auch. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, dann wurde sie wieder ernst. Wo war die fröhliche und lebenslustige Frau geblieben, die ich von meinem Fenster aus beobachtet hatte? Hatte der Trip in die andere Welt sie so verändert, oder gab es andere Gründe für ihre Reserviertheit außerhalb des Bettes?
„Außerdem habe ich mich noch um ein paar andere Dinge gekümmert“, fuhr sie fort. „Niemand muss je erfahren, was sich dort drüben abgespielt hat. Ich kenne Leute, die darauf spezialisiert sind, Spuren zu beseitigen und die Presse in Schach zu halten. Morgen rücken Fachleute an und bringen das Schlafzimmer wieder in Ordnung. In ein paar Tagen ist alles wieder wie vorher, und dann wird niemand mehr darüber reden oder Dich mit der ganzen Angelegenheit in Verbindung bringen.“
Ich wollte schon etwas erwidern, doch dann erinnerte ich mich an meine Golfausrüstung, die ich im anderen Penthouse zurückgelassen hatte. Wieder einmal hatte Miranda an alles gedacht.
Sie kam auf mich zu und umarmte mich. „Komm ins Bett“, forderte sie mich auf. „Ich will Dich in mir haben, ganz egal, wo.“
„Jetzt nicht“, sagte ich. „Später vielleicht.“
Sie löste sich von mir und sah mich ungläubig an. „Seit wann hast Du keine Lust, mit mir in die Kiste zu steigen?“
„Natürlich habe ich Lust, aber können wir uns Abwechslung mal ein paar Minuten unterhalten?“
Ich konnte regelrecht sehen, wie sie blitzschnell eine innere Mauer hochzog. „Du weißt, dass ich nicht darüber sprechen möchte, was ich es getan habe und was auf der anderen Seite geschehen ist. Einiges davon hast Du ja selbst gesehen. Das sollte doch reichen, oder?“
„Aber darüber will ich auch gar nicht mit Dir reden“, entgegnete ich.
„Worüber dann?“
„Nun… über uns.“
„Oh je“, stöhnte sie und verdrehte die Augen. „Was soll das werden? Eine Beziehungs-Diskussion?“
„Schon möglich“, sagte ich. „Wäre das so schlimm?“
„Ich will aber nicht diskutieren. Ich will ficken.“
„Geht es nur darum? Ums Ficken? Ist das alles?“
„Ist es nicht das, was Du immer gewollt hast?“ Jetzt schwang ein scharfer, angriffslustiger Ton in ihrer Stimme mit. „Mit mir schlafen, so oft es nur geht? Mich nehmen? Von oben und unten und hinten?“
„Der Sex mit Dir ist fantastisch“, gab ich zu. „Besser, als ich es je erlebt habe. Aber… ich meine… ist das alles, was zwischen uns ist? Und jemals sein wird?“
„Was stört Dich daran? Es läuft doch gut mit uns.“
„Findest Du? Bist Du damit wirklich zufrieden? Erwartest Du denn nicht mehr?“
„Ich habe keine Ahnung, wovon Du sprichst“, sagte sie, aber ich war sicher, dass sie genau wusste, was ich meinte, und das machte mich plötzlich wütend.
„Ich liebe Dich, Miranda!“, platzte es aus mir heraus. „Ich liebe Dich und möchte wissen, was Du für mich empfindest! Ob Du überhaupt etwas für mich empfindest. Herrgott, das ist doch nicht so schwer zu verstehen!“
Ein paar Sekunden lang hielt sie meinem Blick stand, dann schlug sie die Augen nieder. „Ich mag Dich, John“, sagte sie leise. „Sehr sogar. Und ich bin Dir unendlich dankbar für alles, was Du für mich getan hast. Dass Du Dein Leben riskiert hast, um meines zu retten… das werde ich nie vergessen. Deshalb stehe ich zu meinem Wort. Du kannst mich haben, wann immer Du willst. Ich tue alles, was Du möchtest. Ich bin Deine willige Sklavin. Du kannst Deine geheimsten Fantasien mit mir ausleben. Es gibt nichts, wozu ich nicht bereit wäre, um Dir Deine Wünsche zu erfüllen und Dich zu befriedigen.“ Mit den nächsten Worten schien sie regelrecht zu kämpfen. „Aber ich liebe Dich nicht.“
Das war schmerzlicher, als ich es für möglich gehalten hatte, doch ich hatte es schon geahnt, daher kam es für mich nicht überraschend. Trotzdem bekam ich einen Kloß im Hals. „Ich weiß“, flüsterte ich.
„Und was jetzt?“, fragte sie nach einer Weile und schien zum ersten Mal ebenfalls mit der Fassung zu ringen.
Die Entscheidung fiel mir leicht und schwer zugleich. „Ich möchte nicht, dass Du nur bei mir bleibst, weil Du es versprochen hast. Also bist Du nicht länger an Dein Wort gebunden. Du bist frei und kannst gehen.“
„Willst Du denn, dass ich gehe?“
„Nein“, sagte ich. „Aber ich denke, es ist besser so.“
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Der Rest ist schnell erzählt. Ich küsste Miranda ein letztes Mal, dann verließ ich die Wohnung, nahm mir Taxi und kurze Zeit später ein Hotelzimmer für eine Nacht. Am nächsten Morgen war Miranda fort, ohne mir eine Nachricht hinterlassen zu haben.
Es dauerte eine Weile, bis ich wieder das Gefühl hatte, ganz ich selbst zu sein. In den nächsten Tagen konnte ich beobachten, wie die Panoramascheibe des Schlafzimmers erneuert wurde und eine kleine Armee von Handwerkern alle Schäden beseitigte. Miranda habe ich jedoch nie dort drüben gesehen. Vielleicht hat sie beschlossen, eine Weile zu verreisen, um Abstand zu gewinnen und ihr Leben zu ordnen. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich wieder von ihr hören — oder auch nicht. Jedenfalls wünsche ich ihr nur das Beste.
Zuerst hatte ich geglaubt, am Boden zerstört zu sein, wenn Miranda nicht mehr bei mir wäre, doch dem war nicht so. Natürlich vermisste ich sie anfangs, und hätte ich gewusst, wie ich sie erreichen kann, wäre ich vielleicht in Versuchung gekommen, sie anzurufen und zu bitten, zu mir zurück zu kommen. Andererseits war mir klar, dass es für uns keine gemeinsame Zukunft gab.
Schon seltsam, oder? Nach den unschönen Erfahrungen mit meiner damaligen Lebensgefährtin wollte ich allen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen und einfach nur guten, unkomplizierten Sex und meinen Spaß haben. Aber als ich genau das bei Miranda gefunden hatte, stellte ich fest, dass es nicht genug war und dass etwas fehlte.
Noch am selben Abend rief ich Gabby an. Wir sprachen lange miteinander, und als sie mich fragte, ob ich sie am Freitag sehen wolle, sagte ich sofort und von Herzen ja!
Es waren gerade mal fünf Tage vergangen, seit mich Miranda zu Max und Ling geführt hatte, damit die beiden mir sagen konnten, wie ich meine Penthouse-Lady von der anderen Seite zurückbringen konnte. Da ich von ihnen nur die Adresse kannte, fuhr ich am Donnerstagmorgen dorthin, um ihnen zu erzählen, wie alles ausgegangen war. Ich traf jedoch niemanden an. Alle Fensterläden waren geschlossen, und aus dem Stück Rasen, das jetzt noch trostloser aussah als bei meinem ersten Besuch, ragte ein ‘ZU VERKAUFEN’-Schild mit der Nummer einer örtlichen Maklerfirma. Ich nahm eine meiner Visitenkarten, schrieb auf die Rückseite ‘Alles gut gegangen – John’, und warf sie durch den Briefschlitz. Mehr konnte ich nicht tun, und vielleicht würden sie meine Nachricht irgendwie bekommen. Dann wussten sie wenigstens, wie sie mich erreichen konnten.
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Damit bin ich fast am Ende meiner Geschichte. Als Gabby mich am Freitag zur gewohnten Zeit besuchte, hatten wir ausnahmsweise keinen Sex. Stattdessen erzählte ich ihr die ganze Geschichte. Ich fand, dass sie es verdient hatte. Natürlich glaubte sie mir zunächst kein Wort — auch nicht, als ich ihr die Prellung auf meinem Brustkorb zeigte, die sich inzwischen in ein hässliches Violett verwandelt hatte. Doch dann kam mir eine Idee, wie ich sie davon überzeugen konnte, dass ich mir das Ganze nicht nur eingebildet hatte. An die erste Beschwörung konnte ich mich dank meiner Fehlversuche noch gut erinnern, also sprach ich sie aus und zeichnete das dazugehörige Symbol in die Luft. Gabby starrte mit riesigen Augen und offenem Mund auf das komplexe Zeichen, das leuchtend vor ihr schwebte, bis es sich auflöste. An diesem Abend reichte eine Flasche Wein für uns nicht aus, und als wir am nächsten Morgen eng aneinander geschmiegt erwachten, hatten wir beide einen leichten Kater.
Beim Frühstück fragte ich Gabby, ob sie Lust hätte, ein paar Tage mit mir zu verreisen. Sie lächelte mich an und sagte: „Ich denk darüber nach, okay?“
Tja, ich glaube, jetzt habe ich alles erzählt. Ach ja, noch etwas ganz zum Schluss: Mit den schlimmen Träumen ist es vorbei. Und ich bin mir sicher, dass es dabei bleibt.
ENDE
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Also ich finde den 2.Teil auch wieder perfekt. Auch wenn es inhaltlich nicht wirklich in die storyZOOne passt, wäre unsere Geschichtensammlung ohne die Geschichte deutlich ärmer…
Zoo oder nicht Zoo ist mir jetzt nicht so wichtig, auf jeden Fall ist es genial geschrieben.
Ich habe die Geschichte mit Genuß gelesen und mich hervorragend dabei unterhalten
Tolle Story – perfekt ge- und beschrieben.
Gerne MEHR!
Wie auch schon der erste Teil, eine sehr sehr tolle geschichte die richtig viel spaß machte beim lesen weil sie ihnen tief in die Immersion eintauchen lässt!
Es macht mir immer wieder Freude Geschichten von dir, seien sie neu oder alt, zu lesen weil du mich persönlich mit deinem Schreibstil packst und mir ein tolles bild vor meinem inneren auge bescherst!
Deshalb mag ich einfach mal „Danke!“ sagen für die vielen tollen geschichten und die schöne zeit die man beim lesen hat!